"Und gibt es hier ein Kino ?" fragte ich einen Bewohner der Kleinstadt (45,000 Einwohner) Tiberias (am Ufer des See Genezareth / Kinneret).
"Klar, gibt es das !" erwiderte er, ohne gross nachzudenken.
"Und wo ist das ?"
"Oben in der Schechunat Dalet im Gemeindezentrum. Nimm aber den Bus, wenn Du hin willst".
"Was im Gemeindezentrum ? Da steht ein Kino ?"
"Naja, kein so richtiges Kino, sondern ein Gemeindezentrum mit grosser städtischer Bibliothek und ab und zu laufen auch mal Filme. Ruf aber vorher an und erkundige Dich nach dem Vorführungsplan".
"Und was macht Ihr, wenn Ihr einen aktuellen Kinofilm sehen wollt ?"
Bewohner lachtend: "Dann kaufen wir uns die DVD".
"Tiberias", dass bedeutet für einen richtigen israelischen Städter "Peripherie, Provinz, Dorfheinis". Die Stadt Zfat (Safed) dagegen kommt noch schlechter weg.
Der Norden Israels, Galilaea, mag zwar Landschaft und ruhige Lebensqualität bieten, doch Jobs und die Bezahlung sind rar bis mies. Es kommt darauf an, was und wie man sucht, doch die meisten Bewohner sind in so mancher Fabrik froh, das gesetzliche Mindestgehalt zu verdienen. Hauptsache Arbeit und das Privatleben wird halt eingeschränkt. Offiziell steht Zfat (eine Stunde nördlich von Tiberias) für eine "Entwicklungsstadt".
Trotz all der Peripherie - Vorurteile, nicht wenige Menschen aus Jerusalem oder dem Grossraum Tel Aviv zieht es in den Norden. Man hat die Hetzerei der Grossstadt satt und der neue Trend heisst "Landleben" oder zumindest "Kleinstadt". Viele Moshavim und sogar Kibbutzim vermieten Zimmer oder Wohnungen. Nicht nur auf Urlaubsbasis, sondern auf lange Sicht. Auch ich ziehe in wenigen Wochen in den Norden und das nicht nur, um an einem bestimmten Projekt teilzunehmen. Allein als ich am vergangenen Freitag von Tiberias nach Jerusalem zurückkehrte, holte mich die Hauruck - Gesellschaft schnell wieder ein. Eine alte Dame schubste mich am Machane Yehudah Markt halb aus dem Bus und als ich fast auf den Gehsteig flog, wurde ich so ziemlich von der Menschenmenge überrollt. Hier war sie also wieder, die Grossstadt.
Der Norden um Tiberias und Zfat: Dort, wo es riesige haredische (ultra - orthodoxe) Bevölkerungsanteile gibt. Dies vor allem Dank der niedrigen Mieten. Eine 4 - Zimmer - Wohnung für nur 1700 Schekel ist mancherorts keine Illusion, sondern Wirklichkeit. In Jerusalem kostet einen 4 - Zimmer - Wohnung mindestens 5000 - 6000 Schekel Miete pro Monat. Natürlich sind im Norden die Einkommen geringer, doch bietet die Supermarktkette MEGA BUL niedrige Produktpreise.
Die Städte Zfat und insbesondere Tiberias setzen sich aus zwei Teilen zusammen. Da ist zum einen die Altstadt im Zentrum und drumherum befinden sich die neuen Stadtteile. In Tiberias liegt das Zentrum (Downtown) am See Genezareth (Hebräisch: Kinneret) und alle weiteren Stadtteile schlängeln sich den Berg hinauf. Nicht leicht für einen Radfahrer und ich ziehe die wenigen Stadtbusse vor.
In Downtown waltet das Touristen - und Ausgehleben. Hier wird gelebt und wohl auch Dank der Touristen und Hotels finden wird sämtlichen Modeschnickschnack von "Castro" bis "Mango". Die Buchkette "Steimatzky" ist vertreten und "Cafe Aroma" sowie "Office Depot" geben sich nebeneinander die Kundenehre. Von solchem "Weltflair" kann Zfat hingegen nur träumen ! Aber was soll es, denn in Zfat herrscht noch immer die Kabbalah. Man schaue nur auf den berühmten Friedhof und welche Rabbiner da so liegen.
Je höher wir auf der Naiberg Street den Hang hinauffahren, desto alltäglicher wird das Leben in Tiberias. Am Hang beginnt das wahre Leben und kaum ein Tourist verirrt sich in den Alltag der vielen sephardischen, aschkenazischen oder russischen Tverianer. Hier gibt es ebenso Läden, Waschsalons, Handwerker oder Bäckereien. Und wie alle anderen Städte des Nordens auch, hat Tiberias sein "Illit"; seine neue bessere Wohngegend. Nur an der Action hapert es und die Jugend schafft sich schnell ein Auto an, um die Umgebung abzuklappern.
Am Downtown Markt mit Blick auf den Kinneret.
An der Uferpromenade des Sees entgeht keinem israelischen Touristen das Modell des Kinneret. Hier muss Farbe bekannt werden und alles ist nicht nur eine kurze traurige Zeitungsmeldung: Seit Jahren regnet es im Winter immer weniger und der See trocknet aus. Momentan steht der Wasserpegel zwei Meter unterhalb der roten Linie und wo es geht, sollen wir Wasser sparen.
Als ich am Donnerstag abend die Bilder des Modells aufnahm, wandten sich nicht wenige israelische Besucher schnell ab, denn sie wollten ihren Urlaub geniessen.
Ein dickes rotes Minus beim Wasserpegel !
Modell des See Genezareth an der Uferpromenade.
Photos: Miriam Woelke
Mehr zu Tiberias, Zfat, Moshavim und anderen Orten der Umgebung und dem Leben im bergigen Norden im Schatten des Libanon ab Donnerstag sowie in der nächsten Woche, denn ich werde zehn Tage dort verbringen. Vorbereitung auf den Umzug in die Peripherie ohne Kino. Wo soll ich da nur den neuen "Wall Street" Film ansehen ?
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen