B"H
Verkommen war der Tel Aviver Stadtteil Neve Sheanan solange ich ihn kenne. Eine Tatsache, die auf das Jahr 1987 zurückgeht.
Damals befand sich mittendrin der alte Busbahnhof und drumherum viele Geschäfte. Die Tel Aviver pflegten eine Tradition: Schuhe wurden grundsätzlich in den Schuhläden Neve Sheanas gekauft. Heute ist das anders und wer sich in den Stadtteil Neve Sheanan traut, der ist fast mutig. Vor alles des nachts.
Kriecht die Dunkelheit herein, gehört die Neighbourhood den ausländischen Gastarbeitern. Die Mehrheit von ihnen befindet sich illegal im Land. Ghettoleben pur. Sudanesen, Nigerianer, Philippinas, Tibeter, Chinesen, Russen oder Südamerikaner.
Tel Aviv will keine dieser Leute in den regulären Stadtteilen sehen, es sei denn, eine Philippina wohnt bei einer älteren Person, die sie pflegt. Ansonsten werden die Gastarbeiter ins verkommene Ghetto ausgespiehen.
Russische oder israelische Prostituierte, sich prügelnde besoffene Sudanesen, manchmal glaubt man, der Dreck der Welt ist ausschliesslich in Neve Sheanan gelandet. Die Philippinas machen dabei noch die geringsten Probleme.
Die einzige Zeit, wenn es richtig ruhig wird, ist wenn die Ausländerpolizei "Oz" anbraust und mal wieder auf Razzia nach Illegalen geht. Dann sind die Straßen wie leergefegt und nur die israelischen Prostituierten trauen sich noch vor die Tür.
Vor drei Wochen kam ich abends gegen 21.00 Uhr am Tel Aviver Busbahnhof an. Am Neuen, wenige Meter von der alten Ruine entfernt.
Im Busbahnhof herrschte gerade Bombenalarm und wir konnten eben so das Gebäude verlassen, dessen Türen alle, bis auf eine, verschlossen waren. Das Chaos war perfekt, wenn man bedenkt, dass es sich um einen Donnerstag abend handelte. Kurz vor Schabbat wollen die Leute reisen. Nach Hause oder zu Bekannten, um den Schabbat dort zu verbringen. Die Soldaten kommen heim und jeder sucht hastig seinen Bus.
Und dann mittendrin der Bombenalarm.
Ich hatte keine Lust zu warten, bis alles vorüber ist. Schliesslich weiss man nie, wie lange solch ein Alarm dauert. Hat er erst begonnen, kann sich die Zeit hinziehen. Ganz zu schweigen davon, wenn sich der Chablan (Sprengstoffexperte) entscheidet, den Roboter (Robot) aus dem Wagen rollen zu lassen. Der Roboter erinnert mich jedesmal an den kleinen Roboter und Freund Luke Skywalkers in "Star Wars".
Ich ging nach draußen und weder Busse noch Sheruts (Sammeltaxen) waren in Sicht. Zum Laufen war ich zu faul und so entschied ich mich, eine Station weiter zu gehen. Ich weiss, dass vom alten Busbahnhof Sheruts abfahren.
Bekannte warnen mich stets, abends oder überhaupt den Levinsky Park zu durchqueren. Der Park befindet zwischen dem alten und neuen Busbahnhof. Nebendran ist der unkoschere Laden "Kingdom of Pork - Königreich des Schweinefleisches" und um die Ecke ist der Rotlichtbezirk. Ich frage mich wie abgefackelt die Prostituierten sein müssen, die da in dieser Gegend ihre Freier auflesen. Wahrscheinlich alles Druggies.
Wider aller Warnungen durchquerte ich den mit Afrikanern besetzten Park. Drogen wechseln den Besitzer und nebendran halten die Philippinas ihr Barbecue ab.
Aus dem Park heraus erreicht man eine Straße, die wegen ihrer Breite einem Parkplatz gleicht. Plötzlich kamen mir am Straßenrand drei junge Afrikaner entgegen. Eine blond aufgetakelte russische Prostituierte folgte ihnen wild fuchtelnd. Die Afrikaner hatten keine Lust auf sie und suchten andere (bessere ?) "Ware".
In einem Bikini bekleidet stand die fette Russin vor einer brauen Holztür und wartete auf Kundschaft. Im Innenraum mussten offenbar noch andere Prostituierte arbeiten und sie war nur der Bouncer.
Ich war dermassen in Gedanken versunken, dass ich von dem Geschehen erst Notiz nahm als die Afrikaner vor der Russin reissausnahmen und auf mich zukamen. Nicht direkt auf mich, sondern sie verschwanden vor mir in einer zweiten Holztür. Dann endlich sah ich, dass dort sich dort drei verschiedene Türen aneinanderreihten; mit je drei "Damen" als Empfang davor. Besonders wählerisch konnten die Damen jedenfalls nicht sein. Den Siff der Welt sind sie sicher gewohnt. Hauptsache keiner ist so besoffen, dass er ausflippt.
Als die drei Afrikaner in die zweite Tür traten, fiel mein Blick zufällig auf die dort stehende israelische Empfangsdame. In dem Moment, in dem die Afrikaner, ohne sie auch nur eines Blickes zu würdigen, an ihr vorbeirauschten, warf sie der Kundschaft einen willkommenen Blick zu. Es fällt mir schwer, diesen zu beschreiben, aber sie schien sich über die Ankunft der Drei zu freuen. Gerade so als empfange eine Unternehmerin einen wichtigen Geschäftspartner.
Ich ging weiter, doch der "willkommene Blick" ging mir nicht aus dem Kopf. Warum tat sie das ? Weil es ihr Job ist ? Aber selbst wenn, man muss doch nicht einen derlei Willkommensblick auf egal welche Kundschaft werfen. Eine Freundin, die das Rotlichtmilieu aus ihrer Kindheit kennt (sie war von daheim weggelaufen und fand in einem Rotlichhotel billige Unterkunft), fragte mich hinterher, ob ich jemals daran gedacht hätte, dass die "Dame" unter Drogen gewesen sein könne. Deswegen lächelt sie oder zumindest tut sie so, weil sie neuen Stoff braucht.
Als ich im Sherut sass, wollte ich noch zurückgehen und besagte Damen fragen, warum sie die Kundschaft so aufrichtig willkommen anlächele. Seitdem ich das meinen Freunden erzählte, muss ich mir nicht nur die Warnungen vom Levinsky Park anhören. Jetzt kommen auch noch die drei Türen hinzu.
Gestern abend nahm ich den Bus und als ich beim Vorbeifahren aus dem Fenster schaute, waren die drei Türen "noch" verschlossen.
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