Samstag, 14. Juni 2008

Vom Star zum Star der Straße

B"H

Das Großartige an einer Stadt wie Tel Aviv ist, dass man allein schon aus den Gesichtern der Bewohner sämtliche Stories herauslesen kann. Und falls einmal der seltene Fall eintreten sollte, das dem nicht so ist, so passiert garantiert etwas und noch bessere Inhalte für Stories sind garantiert. Heute trat gleich beides ein, aber ich will mich auf ein Geschehen beschränken.

In Jerusalem ist es die Fußgängerzone Ben Yehudah und in Tel Aviv ist es der Platz vor dem Eingang zum Carmel - Markt. Ecke Allenby / Sheinkin. Der Carmel - Markt allein ist schon sehenswert und mit seiner Größe und Vielfaltigkeit keineswegs zu vergleichen mit dem dazu im Vergleich erscheinenden "Provinzmarkt" Machane Yehudah (Jerusalem). Dafür herrschen jedoch in Jerusalem strengere Sicherheitsvorkehrungen und fast alle Markteineingänge werden bewacht. Am Tel Aviver Carmel - Markt ist dies nur am Freitag vor Schabbatbeginn der Fall.

Auf dem Vorplatz zum Carmel - Markt tummeln sich allerlei Gestalten und Events. So sind die chassidischen Gruppen Chabad oder Breslov fast immer present. Ab Freitag mittag gibt es die richtige Action und viele Sänger oder andere Kulturveranstaltungen sind versammelt. Als ich mittags ankam, begann gerade eine Gruppe junger Leute in einheitlicher flippiger Kleidung eine Trommelvorstellung. Drums und Tambourine. Nicht schlecht, aber es war trotzdem ein Riesenkrach. Schon nach wenigen Sekunden kam die erste wilde Beschwerde von einem älteren Herren, der nebendran auf einer Bank saß und offensichtlich seine Ruhe haben wollte. Der Rentner fuchtelte mit den Armen und alle dachten schon, er wolle den Sprecher der "Band" verkloppen. Jemand ging dazwischen und die Situation endete damit, dass der Rentner ging. Die Bandmitglieder jedoch schauten betroffen drein und es war ihnen unangenehm, dass sich Leute beschwerten. Erst wollte man woanders hingehen, entschloß sich dann aber zu bleiben. Und so wurde weitergetrommelt.

Wenige Meter entfernt saß eine Sängerin und beim ersten Hinsehen dachte ich mir: "Ist sie es oder ist sie es nicht ?" Ich wollte schon die Umherstehenden befragen, aber der Singsang war zu laut und quietschig, denn der Lautsprecher leistete ganze Arbeit. Und dann sah ich ihre Liedermappe auf der in großen krakeligen Buchstaben ihr Name stand.
Aha, sie war es also doch.

In Israel kennt sie fast ein jeder, im Ausland eigentlich niemand. Die Rede ist von Miri Aloni.

Zur kleinen Gedächtnisauffrischung: Miri Aloni war einmal das, was man einen Popstar nennt. Sie hatte ein paar Hits und war recht gut. Ihren ganz großen Auftritt, der sie fast weltberühmt machte, war der gemeinsame Auftritt mit dem damaligen Premierminister Yitzchak Rabin. Wenige Minuten vor seiner Ermordung stand Rabin im November 1995 zusammen mit eben jener Miri Aloni sowie anderen Politikern und Prominenten auf der Bühne vor dem Tel Aviver Rathaus in der Ibn Gavirol und sang den Song "Shir Le'Shalom - Lied für den Frieden". Der Song samt Miri Aloni erlangten dadurch traurige Berühmtheit und wer die Sängerin heute sieht, der denkt automatisch an die damalige Mordnacht zurück.

Kann sein, dass sich Miri Aloni seither nur noch mit dem Rabin - Mord identifiziert sieht und weniger mit ihrer Kunst. Irgendwann kommt für viele Künstler halt einmal die Zeit, in der die Auftrittsangebote ausbleiben. Und dann ? Man muß ja schließlich Geld verdienen und von etwas leben. Also geht man auf die Straße; und so auch Miri Aloni. Aber Miri Aloni ist nicht irgendeine Straßensängerin, die da ihre Schachtel vor sich hinstellt und auf ein paar Schekel wartet. Nein, Miri Aloni war ein Star für den diese Zeiten noch lange nicht vorbei sind und niemals sein werden. Eine Dame ist sie nicht, sondern eher ein introvertierter Hippie mit Starallüren. Sie hockt nicht einfach pietätlos da und trällert. Als Star braucht man natürlich eine Bühne und die baut sie sich auf. Ein blauer Teppich zierte den Fußboden. Kleine bunte Plastikhocker standen herum, die zum Sitzen einladen sollten. Alles war wohl geordnet. Ihr Lautsprecher, ihr Mikro, die Plastikhocker und ihre schwarze Multikulti - Handtasche, die auf einem separaten Hocker plaziert war. Weiße Hose, buntes Shirt, knallige Sonnenbrille, blonde Engelslocken, so ging es dann los. Miri Aloni lieferte ihr Repertoire ab und ich war dabei als sie auch ihr "Shir Le'Shalom" trällerte. Allerdings hätte ich mir gewünscht, dass sie ihren Lautsprecher herunterfährt und alles nicht so dröhnt und kreischt. Selten gelang es ihr, die richtige Lautstärke zu finden. Dem Publikum aber war es egal und Frau Aloni machte nicht schlecht Kasse. Wie alt mag sie jetzt sein ? Auf alle Fälle in die Sechzig.

Und dann geschah etwas Unerwartetes. Plötzlich stand sie mitten in einem Lied auf und verließ ihr kleines "Wohnzimmer" mit Teppich und Plastikhockern. Jemand fragte, ob es das gewesen sei. Ohne etwas zu erwidern ging sie an ihm vorbei. Als ob er durchsichtig wäre oder gar nicht existiere. Stattdessen bewegte sich sich wortlos in Richtung Trommelband. Ich fragte besagten Herren, ob sie sich jetzt beschweren ginge. "Nee, sagte der, die geht um einen riesen Auftstand zu machen. Wirst schon sehen."

Und da ging es auch schon los. Miri Aloni, der Star, stauchte die Trommelband zusammen. Im Gegensatz zum Streit mit dem Rentner geriet nun deren Sprecher völlig außer Rand und Band. Doch die Sängerin bewies Standfestigkeit und Haltung. Er, der "dahergelaufene" Trommler, konnte ihr nichts anhaben und Miri Aloni übernahm die Show. Nach einem kurzen Wortgefecht war alles vorüber und die Trommler zogen ab.
Frau Superstar kehrte zurück zu den Plastikhockern und sang weiter als sei nichts gewesen. Sie hatte gesiegt, soviel war klar. Und weiter gings mit dem Singsang aus der einstigen Vergangenheit. Das Publikum dankte es ihr trotz Introvertiertheit.

Und sich über einen "Erfolgsabstieg" schämen ?

Nicht Miri Aloni. Einmal ein Star, immer ein Star.
Selbst vor dem Eingang zum Carmel - Markt.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen