Donnerstag, 4. Juni 2009

Neunter Jahrestag meiner Aliyah

B"H

Alle Jahre wieder feiere ich Mitte Juni den Jahrestag meiner Aliyah (Auswanderung nach Israel). Der Tag der Aliyah selbst bildete in meinem Leben eine Verwirklichung von dem, was ich schon Jahre zuvor geplant hatte, aber mich nie entscheiden konnte.
Mehr als zehn Jahre lang war ich zwischen Deutschland und Israel hin - und hergereist. Einmal ein paar Monate oder sogar ein paar Jahre in Israel, dann wieder einige Zeit in Deutschland. Es schien gerade so als würde ich abwägen, wo ich mich denn wohler fühlte. Die Suche nach der perfekten Heimat sozusagen.

Viele Jahre endete diese Suche stets mit dem Ergebnis, dass ich Deutschland vermisste, wenn ich in Israel war und Israel vermisste, sobald ich im Flugzeug nach Deutschland sass. Im Laufe der Jahre wurden meine Israelaufenthalte immer ausgedehnter und mittlerweile sprach ich die Landessprache, hatte einen Freundeskreis und lernte auf unterschiedlichen Yeshivot (relig. Schulen). Ganz am Anfang einmal war ich Volunteer und später auch Ulpanist im Hebräischsprachkurs in einigen Kibbutzim. Der Kibbutz aber war nie so mein Ding gewesen und ich habe es nicht besonders mit dem Kollektivismus. Wobei die Lage in den heutigen Kibbutzim alles andere aufweist als den einstige Gemeinschaftssinn. Der Kapitalismus und Egoismus hat auch vor dem Kibbutz nicht haltgemacht.
Meinerseits bin ich lieber in der Stadt und seit mehr als einem Jahre pendele ich mehrere Male pro Woche zwischen Jerusalem und Tel Aviv hin und her. Ganz so wie einstmals zwischen Israel und Deutschland, nur ohne auf der Suche nach der perfekten Heimat zu sein.

Ich bin nicht nach Israel ausgewandert, um einem Leben in Deutschland zu entkommen. Im Gegenteil, denn ein Jahr zuvor hatte ich sogar einmal mit dem Gedanken gespielt nach London zu ziehen. Ich war sogar dort, merkte aber nach wenigen Stunden, dass Golders Green (der jüdische Stadtteil von London) nichts mit Jerusalem gemein hat.
Letztendlich traf ich meine endgültige Entscheidung, indem ich mich für ein Leben in Israel entschied. Einfach, weil es mir hier besser gefiel und mir die Mentalität zusagt.

Mentalität zusagte ?
Die Mehrheit der Olim (Neueinwanderer), die ich in Israel kennen gelernt habe, kommen alles andere als mit der israelischen Mentalität zurecht. Es ist laut, teilweise hektisch, chaotisch, keiner hört einem zu und Israelis bestehen im Grunde genommen aus ihren eigenen guten Beziehungen. Man kennt sich und hilft sich gegenseitig. Trabt der Neueinwanderer an, muss er sich erst einmal einen Bekanntenkreis aufbauen und es ist immer schwer, richtig dazu zugehören. Je älter man ist, desto weniger erfreulich kann es manchmal sein. Ich kam im Alter von 34 und ärgerte mich im Nachhinein über mein jahrelanges Zögern. Je jünger, desto besser, desto integrierter. Vor allem dann, wenn man am Wehrdienst teilnimmt.

Überlegungen wie Arbeit finden / keine Arbeit finden - Wohnung finden oder auch nicht - und und und, das spielte bei meiner Entscheidung keine Rolle. Ich kannte das Land und wusste, was mich erwartet. Außerdem hatte ich schon längst die israelische Denkweise "Yehiye Tov - Alles wird gut" angenommen und so geschah es dann tatsächlich auch.

Plötzlich Neueinwanderer mit allen Rechten (viele waren es zu meiner Zeit nicht) und Pflichten zu sein, unterscheidet sich ganz außerordentlich vom Touristenleben. Touristen verfallen meistens den Gedanken der Rückkehr in die Heimat. Klappt es in Israel nicht, gehe ich halt heim nach Deutschland, Amerika usw. Wer als Neueinwanderer so denkt, der besteht den israelischen Alltag kaum und kehrt tatsächlich irgendwann ins Heimatland zurück. Man sollte sich schon darüber im Klaren sein, dass ein völlig anderes Leben auf einen wartet als man es bisher von daheim gewohnt war. Sprache, Mentalität, Essen, der gesamte zwischenmenschliche Umgang.

Niemand zeigte sich entsetzt oder verzückt darüber, dass ich aus Deutschland kam. "Stell Dich hinten in der Reihe an, da wo die Brasilieros stehen", hieß es bei den Behörden. Ich war einer von vielen und neben mir sassen Amerikaner, Briten, Franzosen, Argentinier oder Russen. Die Russen übrigens zeigten sich verzückt und konnten es nicht glauben, dass ich aus dem gelobten Deutschland wegzog. Wo es da doch angeblich soviel Sozialhilfe und so gebe.

Nicht aus dieser Bemerkung heraus suchte ich keine Russen zwecks Bekanntenkreis, es ergab sich einfach so. Bei der Aliyah sprach ich schon Hebräisch und kannte Land und Leute, was die Angelegenheit im Endeffekt wesentlich erleichterte. Ich brauchte nicht zu einem Anfängersprachkurs oder zeigte mich entsetzt über eine schnippische junge Angestellte beim Innenministerium. Das kannte ich alles und wusste damit umzugehen.

Nicht jeder ist für Israel gemacht und innerhalb meiner insgesamt 13 oder 14 Jahre im Land, sah ich viele Neueinwanderer in ihre Heimatländer entschwinden. Job finden und ein ausreichendes Einkommen haben, ist nicht leicht. So mancher schuftet sich hier mit mehreren Jobs durch die Woche und kann gerade so Miete und das Notwendigste bezahlen. Bei solch einem Leben kommt man leicht ins Grübeln, ob man denn das nötig habe. Irgendwo in Israel in einem kleinen Mietloch zu hausen, was Unmengen kostet, mich mit chaotischen Kollegen herumzuschlagen oder für Paket Klopapier teilweise bis zu acht Euro zahlen, wenn es mir in Europa viel besser gehen könnte. Vor allen Dingen in Israel für ein Gehalt arbeiten, was einem in Deutschland aus Scham kein Mensch anbieten täte.

Hält man dennoch durch, kommt schon ein gewisser Stolz auf und ich kann von mir behaupten, dass ich nicht mit dem Gedanken spielte, nach Deutschland zu fahren. In der Tat war ich seit meiner Abreise vor neun Jahren niemals mehr dort gewesen. Ganz einfach, weil ich aus Israel gar nicht fort will. Nicht einmal für eine Woche. Die israelische Fluglinie ElAl folgt mir auf Twitter und ich ihr, doch wozu eigentlich ?

Wer nach Israel auswandert, der braucht eine hohe Portion an Durchhaltevermögen. Hier ist er kein King, sondern muss von ganz unten anfangen. Insbesondere innerhalb der Gesellschaft, die es eh nicht liebt, wenn da so ein eingebildeter Schnösel aus dem Ausland daherkommt und meint, er müsse hier bestimmen.

An meinem Akzent und an einer manchmal chaotischen Wortwahl identifiziert man mich als Neueinwanderer. Manchmal stehe ich morgens auf und dann laufen im Hirn alle Sprachen zusammen. Deutsch, was ich nur schreibe, aber so gut wie nie spreche (mit wem auch ?), Englisch, denn ich habe viele Anglo - Freunde und natürlich Hebräisch. Es kann vorkommen, dass ich einen Tag meinen absoluten Englischtag habe und dann wieder einen Hebräischtag, an dem ich nur englisches Gestammele herausbringe.

Jedem, der den Schritt zur Aliyah wagen will, kann ich nur raten, den Willen zu haben, sich in die israelische Gesellschaft integrieren zu wollen. Nicht die "Jerusalem Post" lesen, sondern die Lokalpresse auf Hebräisch. In den Blogs zitiere ich wegen der Leserschaft aus engl. Medien, doch privat lese ich hebräisch.
Damit kommen wir zu einem wichtigen Faktor - der Landessprache. Wer sie nicht erlernen will, der tut sich schwer und kann schon einmal dumm angemacht werden. Israelis sind nicht zimperlich und wenn einer fünf Jahre hier ist und herumstottert, dann kann schnell eine missliebige Bemerkung fallen, ob man denn nicht endlich die Sprache lernen will.

Der zweite Faktor, wenn nicht sogar der allererste, ist, sich einen Freundeskreis auszubauen sowie den optimalen Wohnort zu finden. Mit Wohnort meine ich nicht die Wohnung, sondern die auf einen zutreffende Ortschaft. Einige lieben Tel Aviv und andere Beer Sheva in der Negev. Die Umgebung ist wichtig und sollte stimmen.
Weiterhin rate ich, sich nicht zu sehr auf die eigenen Landsleute zu stürzen. Israelische Freunde sind immer wichtig, denn Israelis wissen, wie man zurechtkommt., Von ihnen bekam ich die gradiosesten Überlebenstipps; wo man hingehen muss und wie man mit den Behörden etc. redet. Auf keinen Fall sollte jemand ständig nach seinem Heimatland jammern, denn das geht der Umgebung auf den Geist. Bei deutschen Touristen stelle ich im Vorbeilaufen immer wieder fest, dass sie ewig lange Reden schwingen, dass dies und das in Deutschland so oder so ist. Wen interessiert das ?

Israel ist nicht einfach und teilweise eine nervliche Strapaze. Wie bekomme ich was geregelt und wie zahle ich meine nächsten Rechnungen, wenn ich nur eine bestimmte Summe verdiene. Gar nicht zu reden vom Terror, den ich schon live miterleben "durfte".


Nichtsdestotrotz sollte man nie die Hoffnung aufgeben oder sich hängen lassen. Wie hatte ich eingangs gesagt ?
"Yehiye Tov - Alles wird gut" und meist stimmt dies sogar. Nicht immer perfekt, doch lohnend.



11 Kommentare:

  1. Ein wunderbarer Artikel, der mir auch mal Deine eigene Vergangenheit offenbart - und ein Zeichen mehr dafür, das sich nicht nur die deutschen Touristen auf Mallorca wie die Idioten aufführen :-) !

    Im Ernst - wirklich lesenswert, da sehr persönlich, denn ich habe mich oft gefragt, wie sich Dein Werdegang Richtung Israel so entwickelt hat!

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  2. B"H

    Hallo Olli,

    in der weiteren Vergangenheit hatte ich auf diesem Blog schon ueber einiges bezueglich der Aliyah berichtet. Ich kann sicher dazu einiges berichten, doch ist es schwer einzuschaetzen, wo man genau anfangen soll. Fuer mich erscheint alles so "normal" oder alltaeglich und ich weiss nicht unbedingt, was der Leser wissen will. Spezielle Fragen dazu waeren manchmal hilfreich. Jedenfalls fuer mich.:-)))

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  3. Hast Du denn überhaupt keine Familie in Israel, bist Du ganz allein dort?

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  4. SChön, Miriam, dein Artikel über die Alyia. Da meine bevor steht habe ich mich über diesen ausführlichen Artikel sehr gefreut. DAnke.
    Ich hoffe, die Integration auch gut hinzu bekommen und mich nicht unterkriegen zu lassen.
    Dir Mazal tov für die "zehn"!!!
    Noa

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  5. B"H

    @Anonym

    Nein, Familie in Israel habe ich nicht, worueber ich, ehrlich gesagt, nicht ungluecklich bin.
    Ich hatte mit meiner deutsch - polnischen Familie in Deutschland genug !

    Aber ich denke nicht, dass es darauf unbedingt ankommt. Viele Neueinwanderer haben keine Familie in Israel und wenn, dann erlebte ich nicht wenige, die von der Verwandtschaft nicht gerade willkommen geheissen worden sind.

    Wer nicht gerade Eltern oder Geschwister hat, die schon vorher einwanderten, steht nicht selten allein da. Wobei ich "allein" als keinen Nachteil sehe, denn man baut sich eh einen neunen Bekanntenkreis auf und ist nicht lange allein.

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  6. B"H

    Vielleicht sollte ich mehr ueber das israelische Leben schreiben als ueber die Politik, wo eh immer nur das gleiche Chaos herrscht.:-)))

    Jeder hat so seine eigenen individuellen Aliyah - Stories zu berichten und nach einiger Zeit lacht man drueber, worueber man sich zu Beginn des Prozesses noch maechtig aufregte. Ueber schreiende Beamte auf den Ministerien, Buerotussen, die einen dumm anmachen und einem dabei unverhohlen ihren Zigarettenqualm ins Gesicht blasen.

    Lernbereitschaft ist die beste Voraussetung zur Aliyah und nach einiger Zeit im Land wird man nicht selten genauso.:-)))
    Allerdings bin ich Nichtraucher geblieben.:-)))

    Da ich Dich ja persoenlich kenne, kann ich mir eher vorstellen, dass Du es schon packen wirst. Kannst ja in Deinem Blog alles LIVE berichten, wenn Du aufgeloest vom Amt kommst.:-)))

    Zur hebraeischen Landessprache und den Probleme damit will ich in den kommenden Tagen noch einen Artikel verfassen.

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  7. Danke Miriam,

    ich kann es wirklich Nachempfinden, so ähnlich sieht es bei mir aus. Familie ist da, wo Glaube ist, muß man auch mal sagen. Meine Wurzeln sind auch im Osten, ehem. Tschechoslowakei.

    Einen ganz besonderen Yom tov, und noch 120 gute Jahre wünshct Dir
    Dieter

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  8. Hi Miriam.

    Ich bin zwar ein Israeli, ich bin in Israel geboren und aufgewachsen und bin hier zum Militär gegangen. Ich hatte aber Israel im Jahr 1991 nach meinem Militärdienst verlassen und lebte 16 J.lang in "good old Germany"!
    Ich bin jetzt nun "Toshav Hoser"!
    Ich bin seit einem Jahr wieder in meiner Heimat,Israel.
    Das Land Israel hat sich sehr verändert und die Israelis haben sich auch verändert, zu meiner Zeit in Israel war vieles ganz anders, ich glaube, dass es mir deshalb noch schwerer fällt mich wieder in Israel einzuleben und mich an das Land zu gewöhnen weil ich den Unterschied zwischen Israel im Jahr 1991 zu der gägenwärtige Situation kenne,ich habe es sehr schwer mich hier an das Land wieder zu gewöhnen.
    Nichtdestotrotz,ich finde Du hast mir ein bisschen geholfen, ich habe realisiert, dass ich den ständige Vergleich zu Deutschland unterlassen sollte!Ich finde deine Artikel sehr hilfreich und möchte mich dafür bedanken

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  9. B"H

    Hallo Ofer,

    ich dachte immer, mein Blog sei fuer Israelis zu langweilig und sie gehen lieber zu Tapuz oder Walla Blogs.:-)

    Israel veraendert sich in jedem Jahr. Ich habe festgestellt, dass sich in Jerusalem in Bezug auf Mentalitaet weniger aendert als in Tel Aviv, wo alles recht schnelllebig ist.
    Die wirtschaftliche Situation, und das nicht erst seit der Krise, zieht alle ziemlich weit nach unten. Mittlerweile kenne ich Leute, die schon ein Gesicht machen, wenn sie einem daheim einen Kaffee anbieten. Dann kommen schnell die Gedanken auf wie "was das alles kostet". Immer nur Geld, Geld, Geld.

    Baulich veraendert sich alles, die Mieten steigen und wenn man das alles so mitkriegt, kommen einem haeufig Gedanken wie "in Deutschland war alles besser". Aber was soll ich sagen ? Man muss sich halt hier mit der Situation abfinden und nach vorne schauen. Ein chassidisches Sprichwort besagt, dass man sich stets dort befindet, wo die eigenen Gedanken sind. Und Du kannst nicht mit dem Koerper in IL und mit den Gedanken in Deutschland sein.

    Laila Tov

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  10. Hi Miriam,

    In der Tat, Du hast Recht, leicht ist die Situation hier aber trotdem nicht.

    Ich bin zur Zeit Arbeitslos, sollte ich bald keine Arbeit finden, gehe ich vielleicht doch zurück nach Deutschland.

    LG
    Ofer

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  11. B"H

    Schaut denn in Deutschland die Jobsuche einfacher aus ? Wahrscheinlich ist das Gehalt hoeher als in IL.:-))))

    Ich weiss nicht, in IL muss man immer flexibel sein, irgendwas jobben und nebenbei mit der richtigen Suche beginnen. Das kann ganz schoen nerven.

    Viele Gruesse und ich hoffe Du findest etwas hier im Land.:-)

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