B"H
In der letzten Wochenendausgabe der israelischen Tageszeitung MAARIV finden wir einen mehrseitigen Artikel zum Thema "Privatisierung im Kibbutz". Beim Durchlesen kamen bei mir alte Erinnerungen hoch. Zwar war ich nie ein Kibbutzmitglied ) und hätte dies auch nie werden wollen) doch immerhin war ich einmal Volontär (Kibbutz Gezer) und zweimal im Ulpan (Sprachkurs) der Kibbutzim Revivim sowie in Givat Brenner.
Wer nicht gerade Mitglied ist, der kann als Volontär eine tolle geruhsame Zeit erleben. Mitglieder hingegen machten in den letzten zehn Jahren einen gravierenden Wandel mit.
In einigen Monaten feiert der allererste Kibbutz sein 100 - jähriges Bestehen: Der Kibbutz Deganiah am See Genezareth (Kinneret). Zeit Bilanz zu ziehen und den einstigen als so perfekt angesehenen Kibbutzsozialismus zu betrachten.
Schon zu meiner Zeit in Givat Brenner (1995) gab es rigorose Veränderungen zu spüren. Sämtliche Bewohner bekamen ein Monatsbudget für ihr Essen und mussten damit auskommen. Abendessen im Diningroom fand nur noch für Volontäre und Ulpan statt. Außer freitags aßen die Mitglieder daheim zu abend. Noch während meiner Zeit in Gezer (1987) musste ein Mitglied den Kibbutz fragen, ob eines der ca. drei Kibbutzfahrzeuge abends einmal zum Kinobesuch etc. ausgeliehen werden darf. Damals noch war alles Gemeinbesitz und man war schon froh, einen eigenen Fernseher besitzen zu dürfen. Und als noch alles jedem Mitglied gehörte, da war der Neid noch gering zu halten. Mit dem Einzug der Privat - TVs wurde das schon anders und die Nachbarn schauten, wer sich welches TV leisten konnte.
In den 90igern gab es Essenbudget und heute essen die allerwenigsten Kibbutzmitglieder überhaupt noch im Diningroom, sondern daheim in den eigenen vier Wänden. Was im Israel des Sozialismus und eines David Ben Gurion niemand zu träumen gewagt hatte: Spätestens in den 80igern war das Kibbutzsystem unrentabel geworden. Bis auf wenige Ausnahmen schrammten die Kibbutzim haarscharf am Bankrott vorbei und nur die staatliche Hilfe erhielt sie noch aufrecht. Immer schlimmer wurde es und in Gezer erlebte ich es live mit, wie Wasser und Strom wegen unbezahlter Rechnungen auf Stunden abgestellt worden waren. Die Behörden machten Ernst und die Kibbutzim waren gezwungen entweder drastisch umdenken oder den Laden dichtmachen.
Plastikfabrik RAVIV im Kibbutz Revivim
So kam man auf die Privatisierung. Mitglieder konnten ihr Haus billig erwerben, Land wurde verkauft, Leute von außerhalb erstanden es und bauten günstig ihre Villen. Es scheint gerade so als seien fast alle dem öden Sozialismus überdrüssig geworden. Immer gab es Mitglieder, die weniger schufteten als andere und auch das wollte man nicht mehr mitmachen. Wer nicht arbeitet, fliegt raus, denn wir (das Mitglied) unterhalten keine Faulenzer mehr. Kurz gesagt, der brutale Kapitalismus zog ein. Nichts mehr mit dem gemeinsamen Leben, Veranstaltungen und Hora - tanzen. Heute pochen viele auf ihr Privatleben, machen die Tür zu und wollen ihr eigenes Leben führen.
Insgesamt wird gesagt, dass die Privatisierung sich positiv auf die Kibbutzim ausgewirkt habe. Trotz allem jedoch gibt es Mitglieder, die sich plötzlich im neuen Kapitalsystem nicht mehr wiederfinden. Den Traktor, den sie so sehr liebten, fahren nun billige Thaikräfte oder Palästinenser. Diese zu beschäftigen zahlt sich für den Kibbutz finanziell günstiger aus. Was also tun, wenn man ein ganzes Leben für den Kibbutz da war und letztendlich alle doch wieder dem Kapital nachjagen und ihre Türe hinter sich zuknallen ? Wo bleibt das das einstige Ideal ?
MAARIV berichtet von Selbstmorden. Nicht wenige Mitglieder sahen nur noch diesen Ausweg und die Kibbutzim schweigen. Selbstmord wegen Privatisierung ? Psychische Probleme damit ?
Das sei ein absolutes Tabuthema !
An soetwas lieber nicht denken, denn man will ja die Früchte des eingezogenen Kapitalismus ernten und weniger die Verlierer sehen.
In ca. zehn Jahren wird es den Kibbutz kaum noch geben, sondern die Betriebe lösen sich in Privatunternehmen auf. Bald wird der Kibbutz ganz verschwunden sein, bis auf einige wenige, die uns dann als Museum dienen. Doch das einstige Gesellschaftsideal ist für uns Städter schon längst etwas Abgefackeltes. Vom Lande halt und belächelt.
Wer einen Kibbutz in seiner heutigen Form sehen will, der sollte sich beeilen, denn bald könnte damit Schluß sein.
Link:
Kibbutz Program Center
Ulpanidylle im Kibbutz
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen