B"H
Zusammen mit einer Freundin machte ich mich am vergangenen Dienstag auf nach Sderot sowie in die Nachbarstadt Netivot.
Obwohl Sderot innerhalb der letzten Jahre traurige Berühmtheit erlangte, verirren sich selten Touristen in die Stadt. Vielleicht mehr Journalisten, wenn gerade einmal wieder vermehrt Kassamraketen aus Gaza dort landen. Der letzte Raketenalarm "Zewa Adom - Farbe Rot" wurde vor ca. drei Wochen ausgelöst und ansonsten herrscht derzeit gespannte Ruhe. Dies jedoch sollte nicht darüber hinwegtäuschen, dass der Bombenhagel der Hamas aus Gaza jederzeit wieder losgehen kann.
Sderot ist die einzige Stadt Israels, in welcher der Alarm "Zewa Adom - Farbe Rot" ausgelöst wird. Während des Gazakrieges im Dezember 2008 / Januar 2009 gingen in Ashkelon, Netivot oder Beersheva beim Raketenalarm die Sirenen los, in Sderot hingegen dröhnt nichts, sondern eine Frauenstimme verkündet durch die Lautsprecher "Zewa Adom". Dann flüchten die Menschen in die Keller, Bunker oder suchen anderweitigen Schutz hinter Mauern. Der "Zewa Adom" - Alarm wird mit einer ruhigen Stimme verkündet und Panik soll auf diese Weise vermieden werden. Nach mehr als acht Jahren Raketenterror haben sich die Einwohner Sderots schon fast an den Alarm gewöhnt.
Tel Aviv war unsere Ausgangsstation und meine Freundin T. und ich waren überrascht am Busbahnhof zu hören, dass ein Bus direkt nach Sderot fuhr. Nicht von Egged, sondern von der privaten Busgesellschaft "Metropolin". Der Bus durchquert Yavne (südlich von Rehovot), Sderot, Netivot und die Endstation ist Beersheva. Super preiswert war der Metropolinbus dann auch noch: Eine Fahrt von Tel Aviv nach Sderot kostet 16 Schekel (ca. 3 Euro). Mit Egged wären wir nicht so billig weggekommen.
In Tel Aviv war der Bus noch so ziemlich leer, füllte sich aber im Laufe der Fahrt. Vor allem in Yavne stiegen viele Leute zu. Vorwiegend Äthiopier, die auf die Märkte in den Nachbarstädten zu fahren schienen. Einige Soldaten waren ebenso unter den Fahrgästen und ich hörte einen erzählen, dass er in Kfar Aza (Kfar Gaza nahe der Grenze zum Gazastreifen) stationiert sei.
Die Fahrt nach Sderot dauerte eineinhalb Stunden. Die Landschaft auf der Fahrt hinunter in den Süden überraschte mich. Ehrlich gesagt hatte ich Wüstenlandschaft, Sand oder eine sonstige trockene Landschaft erwartet. So wie um Beersheva herum. Was wir jedoch sahen war viel Grün und vor allem bepfanzte Felder. Je weiter wir gen Süden fuhren, desto näher kamen wir Gaza und dem nur wenige Kilometer entfernten Ort Sderot. Es war sonnig und die Temperatur lag bei 35 Grad Celsius.
Sderot bildete eine weitere Überraschung. Es ist eine Kleinstadt, aber nicht so klein, wie man sie sich vorstellt. Einige Stadtteile, darunter ein modernen mit neugebauten Häusern, umrunden das kleine bescheidene City Center. Viele Palmen, viel Grün und mittendrin viele Bunker.
Bunker in Sderot
Überhaupt waren die Bunker das erste, was wir sofort auffiel und was mich bis zu unserer Abfahrt nicht mehr losliess. In meinem ganzen Leben habe ich auf so engem Raum noch niemals soviele Bunker gesehen wie in Sderot. Sogar bunt angemalte oder mit Graffitis versehene Bomb Shelters waren darunter. Hatte ich mir vor der Fahrt nach Sderot noch Gedanken gemacht, was T. und ich denn um Himmels Willen machen, wenn "Zewa Adom" ausgelöst wird, so erhielt ich in Sderot selbst sofort die Antwort ohne groß nachzufragen. Die Bunker stehen überall da. Mit offenen Türen. Sämtliche Bushaltestellen sind ein Bunker. Erfolgt ein Raketenalarm, so geht man in das Gebäude, was sich Haltestelle nennt. Dort befindet sich ein aus Beton bestehender Raum, in welchem man wartet, bis Entwarnung erfolgt.
Handelt es sich nicht gerade um einen amtlichen Bunker, so gibt es zumindest einen mit Beton versehenen Raum (meist aus mehreren Betonteilen zusammengeschoben), in den man schnell flüchten kann. Wie zum Beispiel auf dem Wochenmarkt von Sderot, der zweimal pro Woche stattfindet oder neben jedem Spielplatz. Eine Tatsache stört jedoch: Nämlich das einige der Bunker von fundamentalistischen Christen aus den USA finanziert worden sind. Nun kann man meine, dass diese Fundi - Christen wie die sogenannten "Israelfreunde" oder "Evangelikalen" es doch nur gut meinen und helfen wollen. Die Frage jedoch ist immer, um welchen Preis man zu helfen beabsichtigt. Bei beiden Gruppen geht es ausschließlich um die Judenmission und da sind derlei Bunkerfinanzierungen oftmals nur ein Vorwand, um sich einzuschleichen und dann mit der eigentlichen Aufgabe zu beginnen: der Judenmission.
Wer durch die kleine Shoppingmall von Sderot spaziert, der sieht sogar die israelische Buchhandlungskette "Steimatzky", aber nicht mein Lieblingscafe "Aroma". Wir fanden einen "Aroma" - Ersatz, der sich "Coffee to Go" nennt, liessen uns dort nieder und riefen unseren Freund David an, der seit einigen Jahren in Sderot wohnt. Bei David handelt es sich um einen gebürtigen Amerikaner, der vor einigen Jahren Aliyah nach Israel machte. Eine Journalist / Schriftsteller, der ab und zu in der "Jerusalem Post" aus Sderot berichtet und ein Buch über Prostitution schrieb. Keine Prostitution aus Sderot, sondern vornehmlich berichtet David davon aus Holland oder Russland.
Insgeheim hatten T. und ich gehofft, dass in Sderot vieles billiger sein wird, doch damit war es dann nichts. Es herrschten die gleichen Warenpreise wie überall im Land.
David kam ins "Coffee to Go" und berichtete uns vom Sderoter Alltag: Seit dem Beginn des Bombenterrors habe es acht Tote gegeben. Allerdings sei es ziemlich unwahrscheinlich, dass eine Kassam direkt in ein fahrendes Auto oder in eine Menschemenge einschlage. Außer einmal, als es einen solchen Direkteinschlag in einen fahrende Wagen gab und der Insasse umkam.
Wichtiger jedoch sei es, sich vor Schrapnellen der Raketen zu schützen. Wer sich beim "Zewa Adom" daheim befindet, der bleibe im Haus. Das sei sicherer als draußen herumzulaufen. Überall dort, wo man von Beton umgeben ist, denn wenn die Rakete einschlägt, fliegen meterweit die Schrapnellen und das sei das Gefährliche. Sobald ein Alarm erfolgt, reagieren die Leute in Sderot unterschiedlich. Manche laufen in die Bunker, wobei man, mehr oder weniger, ca. 12 - 15 Sekunden Zeit hat. Andere machen gar nichts und gehen weiter ihrer Beschäftigung nach. Die dritte Gruppe sucht Schutz hinter einer Mauer, lehnt sich an und hält den Arm vor das Gesicht. Die vielen Jahre Raketenterror haben die Kinder von Sderot gezeichnet. Viele haben ein Trauma, bekommen beim Alarm die Panik und andere wiederum werden zu Bettnässern. Psychoterror pur, denn keiner weiß, wann und wo die nächste Kassam einschlagen wird.
Zu Dritt machten wir uns auf zu einer Tour durch Sderot. Zum Wochenmarkt, der gerade stattfand sowie in die Wohngebiete nahe der Polizeistation. Eine nette Kleinstadt und wenn man herumläuft begreift man nicht, warum der Ort solch einem Terror unterliegt.
Sderot ist ausgesprochen sauber und gepflegt. Wer Raketeneinschläge sehen will, wird enttäuscht, denn die Schäden werden stets sofort behoben. Trotz all der Bürokratie, welche der Staat veranstaltet und man genau nachweisen muss, ob die baulichen Schäden durch einen Angriff entstanden sind. Die staatliche Entschädigung kann sich in die Länge ziehen und so mancher Betroffener wünschte sich eine schnellere Bearbeitung seines Antrages.
Außerhalb des City Center gibt es genügend Imbisse und Supermärkte. Später setzten wir uns in einen der Imbisse, doch zuerst zeigte uns David dann doch noch die einstigen von Raketeneinschlägen betroffenen Häuser und Plätze. In einem Park konnten wir auf dem Asphalt einen Einschlag erkennen. Obwohl das Loch zubetoniert war, so sah man den Asphalt trotzdem noch voll Spuren der Schrapnellen.
Die Polizeistation ist der beliebteste Anlauf für ausländische Journalisten und anderweitige Besucher. Dort nämlich gibt es eine Raketensammlung zu besichtigen. Allerdings sollte man sich vorher anmelden und da wir dies ausgelassen hatten, liess man uns nicht zur Besichtigung zu. Pech, aber die Bilder sind eh schon im Internet zu finden:
Sammlung von Kassam Raketen in der Polizeistation
Nach ca. vier Stunden es Herumwanderns und des Essens verliessen wir Sderot in Richtung Netivot. Meine Freundin und ich stellten uns an eine der bunkerähnlichen Haltestellen und nahmen ein Scherut (Sammeltaxi) in die 11km südlich gelegene Kleinstadt Netivot.
Nach Netivot verirren sich wahrlich keine ausländischen Touristen. Zwar hatte uns David gesagt, dass dort etwas mehr los sei als in Sderot, doch als wir gegen ca. 14.30 Uhr dort ankamen, sahen wir kaum eine Menschenseele. Die meisten Shops und Restaurants hatten wohl Mittagspause und waren dicht.
Wie kommt jemand dazu, ausgerechnet nach Netivot zu fahren ?
Ganz einfach, denn wer von der jüdischen Religion etwas Ahnung hat und noch dazu wichtige sephardische Rabbiner kennt, den zieht es in die Kleinstadt. Netivot ist bekannt durch eine ganz bestimmte Person: Dem einstigen großen marrokanischen Rabbiner und Kabbalisten Baba Sali (Rabbi Israel Abuchazera, verstorben im Jahre 1984). Und zu dessen Grab wollten wir fahren, wie viele Tausende andere Leute auch. Tausende nicht gerade an dem Tag, doch überhaupt.
Links im Bild: Der Baba Sali, Rabbi Israel Abuchazera.
Viel zu früh stiegen wir aus dem Scherut (die Fahrt von Sderot nach Netivot kostet 8 Schekel - ca. 1,5 Euro) und mussten daher den Weg zum Grab des Baba Sali erfragen. Eine halbe Stunde liefen und verliefen wir uns durch / in die stechende Hitze, doch schließlich kamen wir am Netivoter Friedhof an. Auf unserem vorgerigen Irrweg und nach mehrmaligem Durchfragen fanden wir zufällig die Haltestelle des Busses nach Tel Aviv. Somit hatte der Irrlauf durch Netivot wenigstens noch einen Vorteil.
Netivot
Das Grab des Baba Sali erwies sich als riesen Baukomplex mit Innenhof. Mehrere sephardische Familien hielten ihr Barbecue (hebräisch "Al HaEsch") ab. Meine Freundin und ich liessen uns so ziemlich erschöpft auf zwei Stühlen nieder und tranken Wasser. Wasser ist überhaupt DAS Getränk im israelischen Sommer.
Neben uns hatte eine marrokanisch - französische Familie Picknickstellung bezogen und wir wurden glatt miteingeladen. Es gab eiskalte Cola und Wassermelone. Danach sollten wir auch noch so richtig mitessen, was wir jedoch freundlich ablehnten. Typisch aschkenazisch wollten wir nicht herumstören, obwohl sephardische Juden dies nicht so sehen und immer freundlich einladen und einem den Teller vollhauen. Satt wird man immer, ganz im Gegensatz zu aschkenasischen Juden, wo oftmals jede Kartoffel abgezählt wird. Aber ehrlich gesagt hatten wir nicht den großen Hunger und zogen weiter in eines der Gebäude, wo sich das Grab des Rabbi Israel Abuchazera befand.
Der Gebäudekomplex am Grab des Baba Sali
Ich trat sogar in einer Hose ein und nicht im Rock, obwohl ich extra einen mitgebracht hatte. Bei den Sepharadim ist es weniger streng und so einige Frauen liefen in Hose herum. Wir traten in das Gebäude, liefen durch einen längeren Korridor und kamen am Grab an. Ein Raum mit einem riesigen Grabstein in der Mitte. In dem Raum waren nur Frauen und die Männer befanden sich getrennt auf der Gegenseite.
Tehillim (Psalmen) wurden gebetet und gleich nach unserem Eintritt stand eine weitere Frau vor uns. Sie hielt ein Tablett mit Nüssen, getrockneten Rosinen und Kuchen in der Hand. Wir sollen mal ordentlich zugreifen. Die Sepharadim und ihr stetiges Essen.:-) Wir griffen zu, doch die Frau meinte, dass das nicht ordentlich genug war. Und so drückte uns sie noch mehr von den Rosinen in die Hand. Kalte Getränke gab es dazu.
Die Frauenseite am Grab
Nebendran, in einem getrennten Raum befand sich das Grab der Miriam Abuchazera, der zweiten Frau des Baba Sali. Auf unserem Weg nach draußen durch den Korridor sahen wir einen der Enkel des Baba Sali, der da in einem kleinen Raum saß und Segen austeilte. Jeder konnte zu ihm kommen, egal ob Männlein oder Weiblein, und einen Segen erhalten. Meine Freundin fuhr voll darauf ab, ich allerdings bin für derlei Segen weniger zu haben. Der Rabbi sprach kein Englisch und so übersetzte ich das Gespräch zwischen den Beiden. Zu meinem Erstaunen regten sich die Beiden mächtig auf; meine Freundin hatte ein spirituelles Erlebnis und der Rabbi meinte aufgeregt, er wolle einen Tikun (Korrektur der Seele) ausführen. Draußen angekommen kauften wir an einem kleinen Kiosk "gesegnetes Olivenöl".
Über das Öl lachen viele und meinen, der zuständige Rabbi des Grabes, Rabbi Baruch Abuchazera (Baba Baruch), der Sohn des Baba Sali, betreibe hier falsche Geschäftemacherei. Egal, wir kauften das Öl, was eh nur 6 Schekel (etwas mehr als einen Euro) kostete und ich schüttete mir sogleich einiges davon auf mein sonnenverbranntes Gesicht. Die Haut beruhigte sich und das gesegnete Öl vollbrachte ein kleines Wunder.
Danach ging es nach all der "Heiligkeit" zurück nach Tel Aviv.
Es war ein toller Ausflug gewesen, wir haben eine Menge gesehen und gelernt und "gesegnetes Olivenöl" hatten wir auch in der Tasche.
Was will man mehr ???
P.S. Ich hoffe, dass ich die Photos aus Sderot noch zugesandt bekomme, denn meine Freundin liegt momentankrank darnieder.
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