Samstag, 1. November 2008

Helfen um jeden Preis

B"H

Auf keinen Fall möchte ich bei der Beschreibung dieses nur allzu realen Falles in Einzelheiten gehen und deshalb deute ich die Umstände nur wage an.

Irgendwo in Jerusalem lernte ich eine Frau kennen, deren Namen mir eh unbekannt ist. Sie hat zwei kleine Töchter ca. im Alter von elf und sechs Jahren und zusammen befinden sie sich seit sechs Wochen in Jerusalem. Alle samt stammen sie aus Ostdeutschland. Die Mutter der beiden Kindern erzählte mir, dass sie sich sehr ausgiebig mit dem Thema "Holocaust" befasst hat; mir dagegen kommt es jedoch eher so vor als fühle sich da einmal wieder schuldig. So schuldig, dass die Frau in Deutschland offensichtlich alles aufgab, um mit ihren beiden Töchtern nach Israel zu ziehen.

Bei der Familie handelt es sich um Nichtjuden, die mit einem regulären Touristenvisum (gültig für drei Monate ) nach Israel kamen. Sie wolle Holocaust – Überlebenden helfen, so meinte die Frau zu mir. In einem Altenheim einen Job finden und in Israel ein neues Leben beginnen. Der Euro hätte in Deutschland eh alles zum Negativen verändert und ihre deutsche Wasser – und Stromrechnung sei auch um 30 % oder so angestiegen. Sofort machte ich sie darauf aufmerksam, dass die Preise in Israel ja wohl auch nicht gerade niedrig seien. Hohe Lebenshaltungskosten bei oftmals viel geringerem Einkommen. Die Frau jedoch meinte, dass hier alles viel besser ist. Vorerst sei sie mit den Kindern in einem Hostel in der Altstadt untergekommen, wo sie auch putze. Viele Hostels suchen Touristen, die das Hostel putzen und die Bettwäsche wechseln, wofür es dann ein Bett (und manchmal sogar Zimmer) umsonst gibt. Und genau das mache die Frau zur Zeit, wobei sie nebenbei die Altenheime abklappert und Vorstellungsgespräche führt.

Mir tat die Frau unendlich leid. Manche mögen sagen, dass das ja alles der totale Wahnsinn sei. Da kommt sie in ein fremdes Land, spricht nur ein paar Worte Englisch und will sich hier niederlassen. Dabei nimmt sie gleichzeitig die Kinder aus der Schule und alle wohnen nun in irgendeinem Hostel ohne Schule und ohne alles. Was sei das jetzt für eine Mutter, die das ihren kleinen Kindern antue ?

Nichtsdestotrotz tut mir die Frau leid und ich brachte es nicht zustande, ihr die Wahrheit zu sagen. Eine Freundin raunzte mich hinterher an, dass ich verpflichtet gewesen wäre, die Wahrheit zu sagen. Besser als das die Frau hinterher alles von anderen erfährt; und zwar dann, wenn alles zu spät ist.
Und die Wahrheit lautet, dass sie vielleicht sogar einen Job in einem Altenheim finden kann, doch wenn, dann nur befristet. Wie ich mehrmals berichtete, haben Touristen in Israel einen immer schwereren Stand und mit Visaverlängerungen ist kaum noch etwas. Schon allein aus dem Grund wird es die Frau ungemein schwer haben. Dazu kommen die Kinder, die sie nicht einfach eben mal so in einer israelischen Schule anmelden kann, denn diese nehmen nur Juden auf. Fast alle Schulen und nicht nur die relig. Als nichtjüdische Familie gibt es nicht viel Chancen. Irgendwann werden sie wieder heimgeschickt werden und hoffentlich ist dann noch das nötige Geld vorhanden und nicht, dass alles in einem einzigen Desaster endet.

Hätte ich die Frau aufklären sollen ?
Ich wusste einfach nicht wie. Außerdem nehme ich an, dass jeder, der hierher kommt, sich schon von vornherein mit der Lage befasse sollte. Kann man als Nichtjude einfach so in Israel bleiben ? Ich fahre doch auch nicht nach Australien oder so und lasse mich nieder. Dort muß ich ebenso mit Konsequenzen rechnen.
Viele Male erreichten mich schon e – mails von Leuten, die da einfach in der Heimat, vorwiegend Deutschland, alles aufzugeben bereit waren und einfach so nach Israel übersiedeln wollten. Nichtjuden wohlgemerkt und keine Aliyahberechtigten. Dabei weiß ich nicht, warum gerade Israel die Leute so anzieht. Abgesehen von einer rigorosen Visa – und Abschiebepolitik ist Israel kein Land, indem es sich leicht leben läßt. Wer kein Staatsbürger oder Jude ist, bleibt fast immer außen vor. Selbst wenn ein Nichtjude Staatsbürger ist, eines fehlt dennoch und die Leute reden fast immer hinter dem Rücken: "Naja, weißt Du, der oder die ist ja gar kein Jude".
Und mit dem Verhalten meine ich nicht nur die Religiösen, sondern dies erlebte ich schon in allen Gesellschaftsstrukturen. Sogar bei den Palästinensern, die mich dann schon fragten, warum dieser oder jener hier lebt, wenn er gar kein Jude ist.

Wenn ich den Traum vom besseren Leben verwirklichen will, gehe ich dann nicht lieber nach Kanada, in die USA oder nach Australien ? Warum Israel ? Weil es hier aufregender ist ? Weil ich hier vielleicht meine "Holocaust – Schuldgefühle" ausleben kann oder warum ? Übrigens gibt es für denjenigen, der etwas ausleben will, genügend Holocaust – Opfer in New York.
Genauso in Deutschland. Als Ausländer ist es gewiß nicht einfach so leicht, sich dort niederzulassen. Andererseits denken deutsche Touristen, man komme nach Israel und alles gehe seinen geregelten Behördengang und es ginge schon irgendwie. Realität ist, dass in Israel andere Gesetze herrschen als in Deutschland. Nicht nur das man Jude sein sollte, um in eine Schule zu kommen. Hierbei meine ich jetzt nicht diverse christliche Schulen im arabischen Teil der Stadt etc. Nein, auch Gesundheits – sowie Rentenversicherungssystem sind eindeutig auf Staatsbürger bezogen. Und wer keiner ist, hat keine Rechte.

Vielleicht sehe ich besagte Frau in zwei Wochen oder so wieder und vielleicht habe ich ja bis dahin Klarheit, ob ich sie aufklären soll oder nicht.

4 Kommentare:

  1. Hi, Miriam:
    Ich weis ja wie du sonst auf sowas
    reagierst. Und die frau scheint sehr
    sympatisch zu sein sonst würdest du
    ja nicht anders reagieren. vielleicht
    solltest du dir ja das nächste mal
    sagen wie es ist aber dir dabei zeit
    nehmen. dann wirst du dich auch besser
    fühlen.

    Mir hat eine bekannte letztens erzählt
    dass sie ihren sohn auf die jüdische
    schule schicken wollte. Ich hab ihr
    auch gleich gesagt das ich das nicht
    gut finde und ihr über meine erfahrungen auf der deutschen schule
    erzählt. Auch wenn du die antisemiten
    dort weglässt auch für die anderen
    und für dich selbst bist du ein
    ausenseiter. aber sich freiwillig
    zum ausenseiter zu machen ist einfach
    meshugue.

    jakobo

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  2. B"H

    Ja, die Familie ist schon sympathisch und mir tut die Frau vor allem wegen ihrer Naivitaet leid.

    Eine Bekannte sagte mir, dass sie da kein Mitleid habe, denn die Frau stuerze ihre Familie ins Unglueck und ueberhaupt haetten sie ja ihren Weg allein hierher gefunden und da finden sie ihn auch wieder zurueck nach Deutschland.

    Diese Ansicht finde ich bescheuert und kann das so nicht stehen lassen. Es ist mir egal, wie die Frau ihren Weg hierher fand, aber ich unterhielt mich sehr gerne mit ihr. Ausserdem lernte ich sie ja erst kennen und da wollte ich nicht gleich mit der Tuere ins Haus fallen.
    Nicht diesen, sondern naechsten Schabbat bin ich vielleicht wieder in Jerusalem und dann rede ich einmal mit ihr.:-)

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  3. Ich finde das solltest du tun und
    so wie du schreibst wirst du auch
    die richtigen worte finden damit sie
    nicht verletzt oder enttäuscht wird.

    ich denke dass die gründe warum sie
    nach israel gegangen ist schon sehr
    menschliche gründe waren. deshalb bin
    ich nicht der meinung von deiner
    bekannten.

    jakobo

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  4. B"H

    Ich denke, dass die Frau ganz einfach hierher kam, weil sie helfen will. Wie sie sagt "Holocaust - Ueberlebenden".

    Das ist ihr gutes Recht, nur werde ich sie schon noch ueber die Nachteile im Lande aufmerksam machen. Hoffentlich hat sie wenigstens Rueckflugtickets dabei. Im Falle eines Falles, meine ich.

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