Dienstag, 20. November 2007

Weitere Attacken sind vorprogrammiert

B"H

Es ist nichts Unbekanntes mehr, dass immer mehr israel. genauso wie ausländische Touristen im Jerusalemer ultra - orthod. Stadtteil Mea Shearim angegriffen werden. Erst am vergangenen Shabbat durften wir am frühen Nachmittag eine neue Live - Attacke miterleben, denn ausgerechnet am Shabbat lieben es israel. Reisegruppen durch Mea Shearim zu ziehen. Schnell versammelten sich einige lokale Bewohner um die Gruppe und schrien sie an bis die Touris das Weite suchten.

Jahrelang hängen die berühmten "Anstands - Plakate" an allen Ecken Mea Shearims aus. Mit riesigen Buchstaben wird in engl. und hebräischer Sprache darauf hingewiesen, dass das Viertel nur in dementsprechender Kleidung zu passieren sei. Männer sollten keine kurzen Hosen tragen und langärmlige Hemden anziehen. Die Kipa ist innerhalb der Woche (außer am Shabbat) nicht immer ein MUSS. Jedenfalls nicht in der Hauptstrasse des Viertels.
Bei Frauen liegt die Sache schon etwas komplizierter, denn diese sollten einen langen Rock und langärmlige Oberbekleidung tragen. Wenn schon ein T - Shirt, dann sollte der Ärmel mindestens den Ellbogen erreichen.

Plakate in Mea Shearim


Auftritte in Reisegruppen sind am wenigsten gerne gesehen, denn dies gibt den Haredim (Ultra - Orthod.) das Gefühl, ein Ausstellungsobjekt zu sein. Selbst sehe ich das größte Problem darin, dass Reisegruppen oder Einzelpersonen nach Mea Shearim kommen, ohne die kleinste Ahnung vom Detail zu haben. Da wird herumstolziert und alle schauen auf die doch "so armen" schwarz gekleideten Männer und die Frauen mit der Perücke als Kopfbedeckung. Wobei einige chassidische Gruppen die Perücke generell ablehnen und sich anderweitig aushelfen.

Manchmal kommt es mir so vor, dass die Touristen nur durch Mea Shearim laufen, um sich hinterher brüsten zu können, sie seien einmal dagewesen. Israel. Touristen bilden diesbezüglich keine Ausnahme. Außerdem scheint die Lästerei über die Bewohner Hochkonjunktur zu haben; ist man doch herumgelaufen, ohne überhaupt etwas verstanden zu haben. Wer kennt sich schon im alltäglichen Leben der Chassidim aus und wer kennt die Unterschiede innerhalb ihrer Gruppen und ihre Lehren ? Stattdessen wird dummdreist über den Hinterhof der Batei Hungari gelatscht und sich dann gewundert, wenn die Satmarer Chassidim ausflippen.

Anmerken muss ich jedoch, dass fast 100% der Touris Mea Shearim gar nicht kennen oder kennen lernen. Das einzige, was sie wissen, ist durch die Hauptstrasse des Stadtteiles zu laufen. Wow, jetzt kennen wir Mea Shearim.

Genau dem ist nicht der Fall. Wer Mea Shearim kennen lernen will, der sollte am Freitag Abend zum Shabbat kommen. Am besten mit einem relig. Juden, der einem die Hintergründe erklärt und ein Synagogen - bzw. Tischbesuch bei einem Rebben sollte nie ausgelassen werden. Es gibt nichts schöneres als am Shabbat Abend durch die Hinterhöfe oder den Mea Shearim Markt zu schlendern und wer Glück hat und entweder Hebräisch oder Yiddish spricht, der kommt leicht mit den Bewohnern in Kontakt. Eine weitere Voraussetzung ist, sich in der jüd. Religion bestens auszukennen, denn wenn die Chassidim erst einmal loslegen, dann reden sie alltäglich und denken nicht an irgendwelche Unkenntnisse des Gegenüber. Kenntnisse über haredisches Leben sind daher eine weitere Grundvoraussetzung.



Warum wird gerade jetzt dichtgemacht und es kommt zu Attacken?
Wer die Poster (Fakshvilim) an den Straßenrändern liest, der bekommt leicht einen Einblick in die Materie. Zuerst einmal lieben es christliche Missionare sich nach Mea Shearim zu begeben, weil sie meinen die Leute zu "retten". Mehr Dummheit kann es kaum geben, denn selbst ich würde mir gewiss nicht zutrauen, mit einem chassidischen Rabbi über komplizierte halachische Themen zu diskutieren. Vorausgesetzt jemand täte mit mir diskutieren, denn viele der Männer sprechen grundsätzlich mit keiner Frau.
Weiterhin lassen sich die Bewohner auf keinerlei Diskussionen ein und reden nur mit anderen Chassidim. Wer nicht weiss wie oder was, der findet keinen Kontakt.

Der zweite Ablehnungspunkt des Massentourismus ist, dass die Anstandsschilder ignoriert werden. Da laufen Frauen im Mini oder im Shirt ohne Ärmel durch den Stadtteil. Chassidische Kinder sollen vor solchem obszönen Verhalten geschützt werden.

Vor wenigen Wochen ging ich an einem Shabbat Abend durch Mea Shearim und eine Teilnehmerin bei einer israel. Touri - Gruppe schrie wild herum. Wo denn die anderen seien und ob es hier jetzt nicht endlich weitergehe. Sogleich begann eine Schreiorgie seitens der Chassidim, denn eine Frau hat hier nicht dumm herumzuschreien.

Meines Erachtens nach sind die Touris selber schuld. Wenn ich durch solch einen Stadtteil gehe, dann weiss ich, was mich erwartet. Übrigens betrifft dies nicht nur Mea Shearim. Es ist traurig, dass sich interessierte Touristen immer nur auf den einen Stadtteil beschränken, weil sie nur ihn kennen. Dabei ist Jerusalem voll haredischer Stadtteile: Sanhedria, Romema, Kiryat Mattersdorf, Kiryat Belz, Ramat Shlomo und immer mehr auch Ramat Eshkol und Givat Mordechai. Insbesondere in Kiryat Mattersdorf sowie Belz werden am Shabbat nur anständig angezogene Leute geduldet. Alles andere würde herausstechen und zu sehr auffallen.

Aber nicht nur in Israel bestehen solche Regeln. Wer in die chassidischen New Yorker Stadtteil Boro Park, Wlliamsburgh, Crown Heights oder raus nach Monsey fährt, erlebt dort genauso sein blaues Wunder.

Boro Park in Brooklyn / New York


Tagüber kann jeder sicher bequem durch die Mea Shearim Hauptstrasse laufen, doch vor Hinterhöfen und dem Markt sollte man sich dann hüten, wenn man über kein haredisches Wissen verfügt und die Leute einen automatisch als Alien outen. Bei den Einheimischen spielt immer der Hintergedanke mit, was denn der Außenstehende von ihnen will, denn zuviele kommen mit negativen Absichten.

Mehr zu den Themen Chassidim und Mea Shearim gibt es auf meinem relig. Blog:

http://hamantaschen.blogspot.com

http://hamantaschen.blogspot.com/2007/09/nur-eine-isolierte-gesellschaft.html

http://hamantaschen.blogspot.com/2007/09/die-anstandsstrasse.html

http://hamantaschen.blogspot.com/2007/09/die-koenigin-der-nacht.html

1 Kommentar:

  1. Erev tov, Miriam!

    Per Zufall bin ich auf deinen leider schon ziemlich alten Blog gestoßen. Ja, ich war auf der Suche nach Infos über Mea Schearim. ;-) Vielen Dank für deinen Text, der sehr lebendig geschrieben ist. Ich selbst war erst vor einer Woche in Jeruschalijim und wollte auch nach Mea Schearim, um etwas vom Leben und der Kultur der ultraorthodoxen Juden "erschnuppern" zu können. Aber unser Reiseleiter warnte uns. Vor ein paar Jahren sei er mit einer Touristengruppe unterwegs gewesen und von den Anwohnern attackiert worden. Er selbst aber fuhr dann mit uns nachts durch das Viertel - selbstredende nur die Hauptstraße entlang. Ich hatte den Eindruck, dass er uns absichtlich hierhin geführt hatte, um uns "Affen" in einem ZOO zu zeigen. Dieses Verhalten widerte mich an. (Er selbst machte sich bisweilen lustig über die Ultraorthodoxen.) Ich war der Glotzende, aber nicht verstehen Könnende. Im Grunde hat mir diese "Besichtigungsfahrt" nichts gebracht!
    Bei meinem nächsten Jeruschalajim-Aufenthalt mache ich mich allein auf den Weg. Mir ist bewusst, dass jeder Besucher ein Mindestmaß an Respekt mitbringen sollte. Was ist einfacher, als die Kleidervorschriften zu beachten? Und gerade deswegen bin ich dir dankbar für deinen doch mutmachenden Blog, denn nun weiß ich, worauf es ankommt, um ins das jüdische Leben eintauchen zu können.

    Lehitraot,

    Rivka

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