B”H
Eine Blogleserin fragte mich per Mail, worin ich gefühlsmässig den Unterschied Deutschland / Israel sehe. Die Antwort darauf lautet, dass jeder bestimmt so seine eigene Gefühlswelt hat und demnach lauten die Erfahrungsberichte stets anders. Aber ich gehe jetzt einfach einmal nur von mir aus:
Deutschland gehasst habe ich nie und tue es auch heute nicht, obwohl meine Blogbeiträge manchmal den Eindruck erwecken könnten. Jedoch muss ich zugeben, dass ich mich nach mehr als elfjähriger Abwesenheit nicht mehr mit Deutschland identifiziere und mir zuviel fremd geworden ist. Vom Geldwechsel (DM wurde EURO) bis hin über neue Politiker, Sportler, Prominente, Gesetze und dem dortigen Alltag.
Vor meiner Aliyah nach Israel vor elf Jahren hatte ich bereits einige Jahre in Israel verbracht und wusste, worauf ich mich einlasse. Ich kannte die Leute, die Mentalität, die Sprache und als ich in Frankfurt ins Flugzeug stieg, war mir klar, dass nun ein neues Leben ohne viel Rückkehr beginnt. Ich war keiner der Neueinwanderer, die sagen:
“Naja, wenn es nicht klappt, gehe ich halt in die alte Heimat zurück”.
Wer so redet, hat eh schon verloren !
Ich wurde in Deutschland geboren, was sicher vieles erleichterte. Hineingeboren bedeutet Sprache, Gewohnheiten und zu wissen wer Heino, Dieter Hallervorden oder die Scorpions sind. Was Kohl dann und dann sagte, das Ilja Richter seine “Disco” mit “Licht aus womm …” begann und Dieter Bohlen einen Totalschaden hat.
Wer in ein anderes Land auswandert, der muss sich all diese kleinen Details in seinem neuen Leben langsam und teilweise mühsam aneignen. Ahmt in Deutschland jemand einen LORIOT – Charakter nach, weiss die Umwelt sofort, was gemeint ist. Ahmt mir dagegen ein Israeli Eli Yatzpan oder Gidi Gov nach, stehe ich erst einmal auf der Leitung bis mir jemand den Hintergrund erklärt.
Aber das sind so die Leiden eines jeden Auswanderers aus Deutschland. Im neuen Land zu wissen, wer wer ist und die Witze verstehen. Anraten kann ich nur jedem, sich nicht zu verstecken und verlegen dreinzuschauen, wenn er den Witz nicht mitbekommt. Fragt lieber sofort nach und Euch wird geholfen. Nur so wird gelernt und das neue Leben bekommt Formen. Ich will ja nicht nur Job, einen ausreichenden Lebensunterhalt, sondern Freude am Leben im neuen Land.
Ich kann nicht sagen, wie sich ein Ausländer in Deutschland fühlt, doch für mich war dort alles einfach. Vorprogrammiert, in gewissem Sinne. Man wusste halt, was der Tag bringt. Aus dem Bett kriechen, Schule oder Arbeit, Essen, was unternehmen, Hausaufgaben, Glotze, vielleicht Biergarten oder Park und das wars dann. Bett.
In Deutschland sind die Menschen versorgt, obwohl das alles heute nicht mehr so sein mag, wie bei meiner Auswanderung im Juni 2000. Damals aber war es noch so. Sozialhilfeempfänger, Arbeitslose, alle erhielten ihre staatlichen Hilfen. Die Krankenkassen springen ein und die Unis gabs umsonst. So richtig durchs soziale Raster knallte niemand, denn es gab Wohngeld, das Amt und die Stütze.
In meinem Wohnort in Bayern existierten genug Jobs und das Gehalt reichte massig aus. Die Straßen waren extrem sauber und jeden morgen kam der Kehrwagen der Stadtverwaltung und fegte den Müll weg. Die Busse fuhren pünktlich und wenn da auf dem Fahrplan “Abfahrt 8.39 Uhr” steht, dann kommt der Bus um 8.39 und nicht um 8.36 oder um 8.40 Uhr. Wie das zu schaffen ist, ist mit heutzutage absolut schleierhaft.
Jetzt könnte ich mich kurz fassen und sagen, in Israel ist alles anders. Busse fahren mal pünktlich, mal nicht. Wer in Jerusalem auf den Bus nach Tel Aviv wartet und auf der elektronischen Anzeigetafel die “Abfahrt 17.00 Uhr” sieht, der kann sich nicht sicher sein, auch genau dann abzufahren. Staus in beide Richtungen verursachen nicht selten Verschiebungen und oft fällt ein Bus ganz weg und die Anzeigetafel springt einfach auf “Abfahrt 17.20 Uhr” weiter, ohne das der vorherige Bus um 17.00 Uhr überhaupt erst eintraf.
Israelis sind von Haus aus ungeduldig und es muss “Tschicktschack – Ruckzuck” gehen. Wehe, es bahnt sich eine Schlange vor einer Kasse an, dann geht das Gekeife los, warum denn keine zweite Kasse aufgemacht wird. So manche Ladenangestellte machen dann auf EXTRA; tun so als hören sie die Beschwerden nicht und machen DAFFKA (mit Absicht) keine zweite Kasse auf. Dann ist erst was los, aber der Angestellte bekommt sein kleines bisschen Rache.
Es gibt sicher Ausnahmen, aber mir waren viele Deutsche zu unflexibel. Alles lief halt so im Trott und wehe, wenn nicht. Dann ging die Jammerei schon los. In Israel dagegen sollte man flexibel sein. Schon allein, um sein Leben zu meistern, denn die Wenigsten sind auf finanziellen Rosen gebettet. Nicht immer besteht die Wohnung aus einer tollen Einrichtung, in den seltensten Fällen entspricht die Wohnung einem deutschen Standard. Die Rohre sind anders verlegt und die Gasflasche steht draußen unter dem Küchenfenster. Bleibt nur zu hoffen, dass keine Grad – Rakete unter dem Küchenfenster landet. :-)
Die Kabel hängen am Haus herunter. Jedenfalls an jenen Häusern älteren Baujahres. In den Büros sieht es auch nicht besser aus und bei herumliegenden Kabeln denke ich immer an unseren Sicherheitsexperten in der Bank in Deutschland zurück. Wenn schon ein Kabel auf dem Fussboden, dann abgedeckt und so, dass niemand drüber stolpert. In Israel dagegen liegt alles offen, auch das Privatleben. Jeder scheint jeden zu kennen und alles zu wissen. Es existiert kein förmliches SIE in der hebräischen Sprache und so ist man zumeist per Du.
Was mir bei meinem ersten Israelaufenthalt sofort auffiel war, dass es bei den Fast Foodketten soviel Ketchup und Mayo gab, wie man wollte. Alles umsonst, wohin gegen ja in Deutschland immer 20 Pfennig für eine kleine Tüte Ketchup zu den Pommes abverlangt wurde.
Israelis sind offener, lauter und man schämt sich nicht, im Bus ins Handy alles nur noch so Intime zu brüllen. Von der eigenen Mutter beschimpfen bis hin zur Beschimpfung des Bankangestellten, wenn abgestritten wird, dass das Konto heillos überzogen ist. In Israel wird offen geredet und nicht beschämt geschaut. Jeder hat Probleme und wer was erzählt, erhält mehrere Ratschläge auf einmal.
Der Umgang miteinander ist offener und ungezwungener. Deutsche Touristen tun sich oft schwer mit dieser israelischen Angewohnheit und bleiben erstmal distanziert. In Israel nennt man das Verhalten “kalt”. Auch tun deutsche Touristen, was man ihnen sagt und erinnern mich an kleine Befehlsempfänger, die nur selten aufmucken. Auf der Arbeit fällt es mir wesentlich leichter, Deutsche zu kommandieren als Israelis. Mit den Deutschen geht alles fix, denn sie tun und sagen nichts. Mit Israelis hingegen gibts nicht selten eine Diskussion über das WARUM.
Sicherlich kommt es auf die eigene Persönlichkeit an, wie Deutschland oder Israel betrachtet werden. Der stocksteife Typ zieht wahrscheinlich Deutschland vor, wo er morgens sein Brötchen auf dem Teller hat, um 7.00 Uhr die U – Bahn kommt und um 16.00 Uhr Feierabend ist. Der Israeli freut sich genau so auf den Feierabend, arbeitet aber härter und hat Tausende Sorgen im Kopf. Zweitjob, Miete zahlen, die neue Stromrechnung ist gekommen und die fiel höher aus als die letzte. Bestimmte Gegenden werden ab und an mit Raketen beschossen, Arbeitslosigkeit, Kinder, Armee, Family, dämliche Nachbarn, hohe Steuern und das Warten auf den Lottogewinn.
Israelis ist eines heilig:
“Ba’Bayit – Zuhause”.
Außer “Kesseff – Geld” ist “Ba’Bayit” der Ausdruck, den ich am meisten höre. Daheim sein und die Tür hinter sich zumachen. Alles vergessen und einfach nur leben.
Ich sagte vorhin Israelis seien flexibler: Sie jedenfalls sind es, die in den chaotischsten Situationen nicht den Überblick verlieren und sich durchmogeln. Man lebt weiter und es wird schon. “Yehiye be’Seder – Es kommt schon in Ordnung !”
Deutsche mag in negativen Situationen der Angstschweiss ausbrechen, Israelis dagegen denken schon an neue Möglichkeiten, wie sie alles lösen und weiterleben.
B”H! Ein schöner Artikel, der auch mal ein wenig mehr über Dich preisgibt und zeigt, dass Du Deutschland nicht hasst, auch wenn Du immer so offen und schonungslos kritisch bist. Hat Spass gemacht, zu lesen!
AntwortenLöschenB"H
AntwortenLöschenNaja, ich koennte noch mehr schreiben, aber diese Masse Text reichte mir dann erst einmal.:-)))
Ich denke, dass viele Leser vergessen, dass ich seit vielen Jahren weder in Deutschland lebe noch jemals wieder dort war. Der Auswanderer veraendert sich mit der Zeit, nimmt die Gepflogenheiten und Mentalitaeten des neuen Landes an und ist integriert. Somit schreibe ich zwar auf Deutsch und habe einen Grossteil meines Lebens in Deutschland verbracht; ob ich jedoch heute noch dazu gehoeren wuerde, bezweifele ich.
Sehr schoener Artikel, hat mir Freude gemacht!!
AntwortenLöschenIch glaube das die staendige Bedrohung die Israelis dazu bringt, das Leben mit einer ueberhoeten Geschwindigkeit zu leben, schneller Freundschaften zu schliessen, schneller zu vergessen und sehr oft 1000 Dinge auf einmal zu erledigen.
Aus gleichem Grund gibt es mehr gegenseitige Hilfe und (im Vergleich zu Deutschland) auch mehr Herzlichkeit - auch wenn das in den letzten Jahren etwas abgenommen hat wie ich finde. Die "Yehiye be’Seder" Einstellung (die sicher auch daher kommt), fuehrt dazu das kaum Planungen gemacht werden und (besonders im Berufsumfeld) kaum einer ueber moegliche kommende Probleme oder Konsequenzen nachdenkt, was wie Du schon geschrieben hast - fuer den einen positiv - und fuer den andern negativ ausfaellt, je nachdem welcher Typ er ist. Mir gefaellt es auch nach Jahren noch sehr in Israel auch wenn ich den "Jecke" Stempel sicher nicht mehr loswerde, was aber besonders im Beruf, nicht unbedingt negativ sein muss.
Noch etwas...zum vergleichen: in Deutschland musste ich immer schon Anfang Januar die komplette Jahres Urlaubsplanung einreichen und absegnen lassen... in Israel (im fast gleichen Berufsumfeld) genuegt es seinem "Manager" einfach einen Tag, bei Jahresurlaub - eine Woche vorher Bescheid zu sagen... Habe schon live erlebt wie ein Angestellter seinem Chef gegen Feierabend mitgeteilt hat das er ab morgen 14 Tage in Urlaub geht..sein Chef zwar etwas ueberrascht geguckt, aber nichts gesagt..
Akol yehiye be’Seder.. :-)
Über Ba’Bayit möchte ich mehr wissen.
AntwortenLöschenB"H
AntwortenLöschen@um
Das Gefuehl, daheim zu sein, machen zu koennen, was man will und mit der Familie zusammen zu sein. "Ba'Bayit" hat eine ganz bestimmte heimelige Bedeutung, die etwas schwer zu erklaeren ist. Ich werde mal sehen, ob mir ein Beispiel einfaellt, welches ich dann in einem Artikel berichte.
B"H
AntwortenLöschenDass mit der ueberhoehten Geschwindigkeit hierzulande ist richtig, aber insgesamt sehr ich die aufgeschlossenere Art als Grund fuer Freundschaften. Immerhin gibt ees ja auch Leute, die verschlossenener sind, wie richtige Jekkes oder die vollen Aschkenazim. Auf der Arbeit habe ich einen neuen Kollegen, der gerade sein MA in Philosophie macht. In Tel Aviv geboren, doch sowas von aschkenazisch. Ein richtiger Buchhalter, den Humor muss man erst suchen und die Gefuehle auch. Zur Deutschen Bank wuerde er vermutlich besser passen.:-)
So ein Israeli ist mir in meinem Leben noch nicht begegnet.
Die Art der Israelis, gleichzeitig am Telefon zu reden und einen Kunden am Schalter zu bedienen, bewundere ich ja. Dazu bin ich nicht imstande und kann mich nur auf einen Vorgang konzentrieren.
Das mit der "Yehiye be'Seder" Einstellung sehe ich nicht so eng und eher positiv. Es macht einem Mut und verdraengt die ueberhoehte Sorge und Verbissenheit. Wenn ich immer an die Konsequenzen denke, drehe ich ja irgendwann durch !!! :-)
Stimmt, Planungen sind deutsch. Ein Blogger aus Deutschland kuendigte mir vor ein paar Jahren seinen Besuch in Jerusalem an und gab mir dabei eine Auflistung seiner Termine, die erst in einem halben Jahr stattfinden sollten. Von mir verlangte er schriftlich per Mail eine Terminsvereinbarung mit ihm. Ob ich an dem und dem Sonntag in sechs Monaten um 10.30 Uhr morgens Zeit habe.
Ich dachte erst, dass sei ein Scherz. Was weiss ich, ob ich morgen noch lebe und der will einen Termin in sechs Monaten. Wer weiss, was bis dahin ist und in Israel werden Termine kurzfristig vereinbart oder verschoben.