Montag, 4. Juni 2007

Shekel

B"H

Was mir nach all den Jahren immer noch fremd ist in Jerusalem, sind die vielen Bettler auf den Strassen. Kaum eine Strasse in der Innenstadt, an der keine Bettler stehen. In europ. Laender sitzen die Bettler leise am Strassenrand, doch in Israel kann man sie uebersehen nicht aber ueberhoeren. Mit einem Plastikbecher bewaffnet sitzen sie auf ihren Stammplaetzen und wedeln diesen hin und her. "Shekel, Shekel."
Allein die Vorgabe der Summe, die ich spenden soll, geht mir auf die Nerven. Solchen Leuten gebe ich erst gar nichts. Manchmal stehen nationalreligioese Jugendliche an belebten Kreuzungen oder dem Busbahnhof. "Spendet, spendet, auch wenn es nur 10 Agorot (ca. 2 Cent) sind." Ohne Angabe der Summe gebe ich schon eher etwas.

Zugegeben, in London war der Anblick der Obdachlosen und Bettler schlimmer. In Israel sind die Bettler penetranter. Entweder halten sie einem sofort ein obskures relig. Zertifikat unter die Nase, um einen glauben zu machen, dass es sich hier um einen guten relig. Zweck handele oder sie laufen einem solange hinterher, bis man ihnen Geld gibt. Die Leute mit den Zertifikaten laufen meistens im Machane Yehudah Markt auf und ab. Die richtig Penetranten dagegen sieht man entweder auf den Treppen, die zur Klagemauer (Kotel) fuehren. Vor allem aber handelt es sich bei ihnen rund ums Palaestinenser Yaffa - Tor, die meinen, dass alle Touristen Millionaere seien. Da werden gleich harte Dollars oder Euros verlangt, anstatt dem israel. Shekel.
Einmal passierte es mir auf den Treppen zur Klagemauer, dass mich ein Bettler auf Englisch ansprach. Als ich ihm auf Hebraeisch antwortete, liess er mich entgeistert stehen. "Nein, Israelis wolle er nicht als Kundschaft, denn die haetten ja nur Shekel und keine Dollars."

Vor Jahren schon hat die Polizei das Betteln an der Klagemauer offiziell verboten. Betende fuehlten sich durch die ewige Ansprecherei belaestigt. Allerdings wird inoffiziell weitergebettelt, denn es sind dort viele Touristen mit Geld. Ausserdem ist bekannt, dass religioese Juden relativ viel Spendengelder geben, denn im Judentum ist Zedaka (Spenden) eine Mitzwa (Gebot).
Das ist auch der Grund, warum sich unzaehlige Bettler schnell eine Kipa auf den Kopf setzen und sich in ultra - orthod. Stadtteilen zum Betteln niederlassen. Dort liegt der Verdienst wesentlich hoeher als in der Fussgaengerzone.

Immer wieder veroeffentlicht das Jerusalemer Wochenblatt "Kol HaZeman" die geheimen Verdienste der Jerusalemer Bettler. Wer eine Stunde in der Ben Yehudah steht oder ein Instrument spielt, der hat mehr Geld zusammen als ich nach einigen Stunden Arbeit.
Interessanter aber waren die in "Kol HaZeman" angegebenen Motive der Bettler. Die Mehrzahl bediente sich der Bettelei, weil so ihr Einkommen hoeher lag als wenn sie einer regulaeren Arbeit nachgegangen waeren. Einige hatten ausserhalb Jerusalem oder in Beit Shemesh ein Haus gekauft und wollten sie ihre Hypotheken bequemer tilgen.

Die Leute, die das Geld wirklich brauchen, stehen weniger am Strassenrand, weil sie sich schaemen. Jerusalem ist die zweitaermste Stadt Israels nach Bnei Brak bei Tel Aviv. Die Gruende dafuer sind fast gleich. In Bnei Brak leben ueberwiegend Haredim (ultra - orthdox. Juden) und da die Vaeter im Kollel (relig. Institution) lernen und fast nur die Frauen arbeiten, leben die meisten unterhalb der Armutsgrenze. Erwaehnt werden muss jedoch das die Religioesen sich untereinander helfen. Haredim verfuegen ueber ein brilliantes Sozialnetz und helfen sich gegenseitig. Hilfe von aussen kann daher vielmals abgelehnt werden. Eine der besten Hilfsorganisationen gehoert der Chassidut Vishnitz, aber auch andere sind mit dabei.

In Jerusalem leben nicht nur viele Haredim unterhalb der Armutsgrenze. Die Massenarbeitslosigkeit innerhalb der palaestinensischen Gesellschaft ist hoch. Hierbei spielen nicht nur politische Hintergruende eine Rolle. Das grosse Problem der Palaestinenser ist die fehlende Bildung. Schon im Kindesalter muessen Jugendliche arbeiten um ihre Familien zu ernaehren und fuer eine Schulbildung bleibt da keine Zeit.
Eine weitere Rolle spielt die "neue Armut". Durch Budgetkuerzungen der Regierung verloren Leute ihre Jobs oder alleinstehende Muetter ihr relativ hohes Kindergeld. Die Lebenshaltungskosten steigen staendig an, doch die Gehaelter bleiben gleich.

Was wirklich einzigartig in Jerusalem ist, das sind die vielen Suppenkuechen, in denen Arme kostenlose Mahlzeiten bekommen. Ich hoerte, dass manche Suppenkuechen besser als Restaurants seien.
Die Suppenkuechen versorgen taeglich mehrere Tausend Menschen aus fast allen Schichten. Die Mehrheit der Einrichtungen wird von religioesen Juden unterhalten, aber nicht nur. Der grosse Nachteil ist, dass christliche Missionare auf den Trend aufsprangen und ihre eigenen Suppenkuechen gruendeten. Natuerlich unter dem Schein der Loyalitaet. Beduerftige, die einmal dort waren, gehen meist kein zweites mal mehr hin, denn die aufdringlichen Christen begannen sofort mit ihrer Mission. Spende mit Hintergededanken. Viele der christl. Einrichtungen mussten aufgrund von Anzeigen aus der Bevoelkerung schnell wieder schliessen und deren Klientel beschraenkt sich heute ueberwiegend auf nichtjuedische Russen.

Die Stadtverwaltung hat der Armut nichts entgegenzusetzen. Geld fuer Projekte gibt es kaum. Religioese Institutionen aus den USA sind da etwas erfolgreicher. Sie stellen Gelder zur Verfuegung und Verlangen keine Gegenleistungen, was im Judentum absolut verboten ist.
Wer nun grosse Demos der Armen erwartet, versteht die israelische Mentalitaet nicht, die da heisst: Mistadrim - Man kommt zurecht.

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