Dienstag, 28. Oktober 2008

Partei oder Religion ?

B"H

Keiner in Jerusalem redet von einer Partei, wenn es um die Wahl des neuen Bürgermeisters am 11. November geht. Parteien spielen in dem Wahlkampf die geringste Rolle, sondern eher die Persönlichkeiten der zwei Spitzenkandidaten Me'ir Porush sowie Nir Barkat.

Der säkulere Nir Barkat gibt sich ganz weltoffen. Er steht für das Unternehmertum, was wir in Jerusalem dringend benötigen. Es fehlen Arbeitsplätze und bezahlbare Wohnungen. Soziale Brennpunkte sind an der Tagesordnung; und das nicht nur zwischen Palästinensern und Juden, zwischen Arm oder Reich, sondern insbesondere zwischen relig. und säkuleren Juden. Wie weit dürfen sich haredische Stadtteile noch ausdehnen bzw. werden neu gebaut ? Fühlen sich die säkuleren Bewohner überrannt und fliehen nach Tel Aviv oder andern Ortes ?

Jerusalem ist die zweitärmste Stadt Israels (nach Bnei Brak) und dies bezieht sich nicht nur auf die arme haredische Bevölkerung, sondern genauso auf die Palästinenser. "Wer Arbeit sucht, der findet welche !" Dieser Ausspruch gilt auch in unserer Stadt schon lange nicht mehr. Arbeit ist Mangelware und hohe Gehälter gleich gar. Hightech - Firmen machen sich zwar breit, aber wen suchen die schon: Leute fürs Telefonmarketing und wer nichts verkauft, fliegt eh gleich wieder raus. Noch dazu schaut der Haushalt der Stadt mies aus. Erst der Bau der unseligen überflüssigen Brücke, dann die Straßenbahn, deren Netz sich immer noch im Bau befindet. Unsere Hauptstraßen, siehe Jaffa Road, gleichen wegen des Netzbaus einem Chaos und wer Bus fahren will, der braucht Staugeduld. All das hat dem Stadtsäckel schwer geschadet und man gibt dem vorherigen Bürgermeister Ehud Olmert die Schuld. Sind also eine moderne Straßenbahn mit moderner Fußgängerzone, Grünflächen und all dem Geplanten derzeit zu utopisch ? Allein die Finanzen sind Utopie und wer soll das alles zahlen. Olmert ist weg, Lupolianski demnächst auch und wir sitzen auf dem Schuldenberg. Bürgerinitiativen klagen über mangelnde Finanzen für die Schulen und die Uni. Die große Politik will unsere Stadt gleich ganz aufteilen und plant, ein neues Berlin mit Mauer und allem Drum und Dran zu errichten.

Wohin geht Jerusalem und mit wem ?
Und diese Frage beantwortet uns keine Partei, sondern eine Persönlichkeit. Nir Barkat gibt sich also ganz Manager und weltoffen. Ohne Frage, er kann Jerusalem managen und in eine Zukunft führen; nur war und ist Jerusalem eine Stadt der kleinen Leute und die Frage ist, ob unsere Stadt überhaupt die große Welt und Pariser Schaufenster benötigt. Arbeitsplätze und Finanzhaushalt ja, aber was ist mit dem menschlichen Jerusalem ? Nie habe ich mich in einer Stadt so mit den Menschen verbunden gefühlt wie hier. Man redet miteinander und der Nachteil ist schon fast, dass ein soziales Entkommen oder eine Flucht in die Einsamkeit zur Unmöglichkeit werden. Die Jerusalemer sind kommunikativ und hier weiß man noch, was der Nachbar macht.

Gegen den Manager Nir Barkat steht mit weissem langen Bart der ultra - orthodoxe Me'ir Porush. Kann so einer Jerusalem leiten ? Eine doch inzwischen moderne Stadt mit einem gehörigen Anteil an säkulerer Bevölkerung ? Wie der schon aussieht ? Haredi und der der schließt bestimmt alles am Schabbat und wir müssen auf relig. machen. - So jedenfalls die Stereotype.

Währenddessen mauserte sich Porush aber auch zur Alternative der Säkuleren sowie Nationalreligiösen, denn er behauptet, für alle dasein zu wollen. Mea Shearim hingegen nimmt eh nicht an der Wahl teil und viele Chassidim, wie Gur, lehnen Porush grundsätzlich ab und treffen sich lieber mit Barkat zum Plausch. Alles ist Politik und viele haredische Gruppen mischen kräftig mit. Im Falle Porush ist jedoch Vorsicht vor übereilten Stereotypen geboten, denn die haredische Ablehnung basiert auf jahrelangen komplizierten Zwisten untereinander, und einfach schnell zu sagen "Naja, die doofen Haredim suchen eh nur Vorteile", kommt in dem Fall nicht zum tragen.

Alles wird davon abhängen, wen Porush auf seine Seite bringen kann und die Säkuleren sind nicht immer abgeneigt, denn es geht um die Einheit Jerusalems, die uns da eine Zipi Livni oder ein Ehud Olmert streitig machen wollen. Und wer ist besser in der Lage, sich für unsere Stadt einzusetzten als ein relig. Jude, dem ein vereintes Jerusalem samt Thora wichtig sind ? Gebe ein Nir Barkat nicht letztendlich doch wieder nach und zieht uns eine Mauer hoch ?

Bei all den Fragen kommt es auf keine Partei an, sondern die Person ist gefragt. Bisher verläuft der Wahlkampf fair und schmutzige Wäsche wird ganz bestimmt nirgendwo gewaschen. Vielleicht eher gegenüber einem anderen Kandidaten, den der russisch - israelische Milliardär Arkadi Gaydamak darstellt. Gaydamak, laut Umfragen längst abgeschlagen, sucht sich nun seine Chance woanders; nämlich bei den Palis in Ostjerusalem, die er eigentlich nicht abkann. Aber was soll's ? Die Haredim liessen ihn trotz Schleimereien hängen und die säkuleren Bewohner können mit einem Russen, der sich nur auf Russisch oder Englisch verständigen kann, nicht anfangen.

In Jeruslem gilt, dass wer auf dem Machane Yehudah Markt siegt, gewinnt. Porush war schon bei den Marktständen und gewann. Davon war er wohl selber überrascht. Aber wie gesagt, Jerusalem will Einheit und Porush lehnt sich am ehesten gegen die Regierung auf. Wer will, der kann ihn heute abend (Dienstag) bei der "Orthodox Union" im "Israel Center" um 19.00 Uhr live erleben. In wenigen Tagen folgt Konkurrent Nir Barkat der gleichen Prozedur im "Israel Center" in der Keren HaYessod.

Noch ist nichts entschieden und das allergrößte Problem überhaupt wird sein, die Bewohner zur Wahlurne zu bewegen. Ich selber kämpfe noch mit mir und nicht nur ich. Tausende weitere ebenso. Das Wahlergebnis jedoch ist offen und noch ist gar nichts entschieden.


Links:

Website von Porush

Website Barkat

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