Am Zentralen Busbahnhof von Jerusalem in der Jaffa Road. Von hier aus fahren die lokalen Linienbusse der staatlichen Busgesellschaft EGGED. Im Busbahnhof fahren die EGGED Busse in sämtliche Orte des Landes.
Auf beiden Fahrseiten befinden sich die Haltestellen in unterschiedliche Richtungen der Stadt. Im Vordergrund, auf der rechten Seite, fahren die Linien aus Richtung Herzl Boulevard kommend in Richtung Innenstadt (Machane Yehudah, King George bis in die Germany Colony oder nach Talpiyot).
Photos: Miriam Woelke
B"H
In Israel ist vieles anders und so verwundert es nach einer Eingewöhnungsphase auch niemanden mehr, wenn er vielerorts EGGED (oder in Tel Aviv DAN) Stadtbusse sieht, die nicht an der eigentlichen Bushaltestelle halten, sondern mitten auf der Fahrbahn. Die Busse schwenken erst gar nicht an die Haltestelle ein. Vielfach ist am Jerusalemer Busbahnhof zeitlich gar kein Haltestellenplatz für all die heranströmenden Busse vorhanden. So fahren einige Busse an die Bordsteinkante heran und lassen Fahrgäste ein – und aussteigen. Andere, eher ungeduldige Fahrer, jedoch parken nicht ein, sondern bleiben stattdessen auf der zweiten Fahrbahnspur stehen. Mitten im Verkehr muss sich der Fahrgast zur Bustür quälen. Gesetzlich ist das den Busfahrern untersagt, doch scheren tut sich kaum jemand darum. Man darf sich halt nicht erwischen lassen.
Es ist genau zwei Wochen her als einigen Fahrgästen, inklusive mir selbst, diese Fahrweise fast zum Verhängnis wurde. Tatort: Die lokalen Haltestellen gegenüber dem Zentralen Bsbahnhof in Jerusalem.
Ich wartete auf meine Buslinie 74, mit der ich heimfahren wollte. Obwohl ich nicht direkt im Stadtkern lebe, habe ich dennoch mehrere Busse zur Auswahl. Die Linie 75 hatte ich gerade verpasst und so wartete ich auf die nächste mir zur Verfügung stehende Buslinie.
Zuerst kam die Linie 18 Richtung Katamon. Die 18 parkte fast vor mir und ich achtete nicht darauf, ob der Fahrer eine Pause einlegte oder auch Leute einstiegen liess. Nach der 18 kam ein weiterer Bus, der weiter oben an einer anderen Haltestelle parkte. Vielleicht die Linie 30. Auch hier achtete ich nicht besonders darauf, denn meine Linie 74 erschien auf der Bildfläche. Aus der Richtung Herzl Boulevard kommend parkte die 74 hinter der 18 und wartete, dass die 18 und der Bus weiter oben die Haltestellen verliessen.
Bei der Linie 74 handelte es sich um einen der langen neuen Busse. Alle drei Busse waren übrigens "Made in Germany", so die Polizei später.
Nach ca. einer halben Minute des Wartens verliess den Fahrer der 74 die Geduld. Er überholte die 18 und blieb mitten auf der Fahrbahn stehen. Bedeutete, dass wir einsteigenden Fahrgäste vor der Linie 18 vorbeilaufen mussten.
An den weiter oben parkenden Bus dachte in dem Moment kein Mensch, denn der war ja weit weg.
Circa zehn Fahrgäste hatten sich vor der offenen Tür der Linie 74 postiert und waren dabei einzusteigen. Ich dachte mir, dass ich mir das kurzweilige Gerangele nicht antue und ging langsam an der 18 vorbei und auf die 74 zu. Plötzlich vernahm ich ein riesen Geschrei hinter mir. Ich drehte mich um, um nachzusehen, was vor sich ging. Soweit kam ich gar nicht mehr, denn ich sah beim Aufblicken den Bus, der viel weiter oben geparkt hatte, auf mich zurollen. Nur noch einen Meter Abstand zwischen ihm und mir. Einen Meter oder weniger.
Ich stand nur da und dachte, dass kann doch nicht sein. Das nächste, woran ich mich erinnere ist, dass der Bus mich auf die Vorderseite (des Fahrers) der Linie 18 drückte. Ich verspürte einen derartigen Schmerz im Rücken, dass ich für einige Sekunden das Bewusstsein verlor.
Als ob jemand mit den Fingern geschnippst hatte, erlang ich das Bewusstsein wieder und befand mich in einer ganz anderen Position. Fast einen Meter weiter auf den Beinen stehend. Aber in eine ganz andere Richtung schauend.
Was ich zuerst sah, war die (wie ich heute weiss) 19 – jährige Amerikanerin Jordan, welche zwischen der 74 und dem Bus, der mich rammte, eingeklemmt war. Eingeklemmt von den Beinen bis zum Brustkorb. Brust, Kopf und beide Arme hingen heraus und sie versuchte verzweifelt zu atmen. Ihr Körper lag sozusagen weit mehr als 1,5 Meter eingeklemmt in der Luft zwischen zwei Bussen. Es war die schrecklichste Szene, die ich jemals in meinem Leben sah.
Ich dachte nur, dass kann doch alles nicht sein. Ich schaute auf die eingeklemmte Amerikanerin und dann nach links in den schmalen Raum zwischen den Linien 18 und 74. Alles voll zerbrochenem Glas. Kein schneidendes scharfes Glas, sondern eher Glaskrümel.
Mein erster Gedanke war, der Eingeklemmten zu helfen, doch dann ging nichts mehr. Der Schmerz im Rücken war so stark, dass ich mich entweder setzen musste oder drohte, ohnmächtig umzufallen. Ich setzte mich und dachte nur, dass ich mein Leben nicht im Rollstuhl weiterführen will.
Irgendwie stand ich wieder auf und wollte nur noch weg. Ich bildete mir ein, dass all das nicht real sei und ich jetzt nach Hause gehe. Die Illusion hielt, bis ich beim Aufstehen mein zerrissenes Shirt und meine blutige Jeans sah. Ich war davon überzeugt, dass meine Wunde am Arm voller Glassplitter war, was sich am Ende, G – tt sei Dank, als falsch herausstellte. Trotzdem hatte ich zwei Löcher im Arm als mich der Bus mitzog.
Mein Glück war, dass der Bus nicht direkt auf die 18 knallte, sondern eine Kurve machte und in die 74 rammte. Wäre er in die Linie 18 gerammt, würde ich dies heute nicht mehr schreiben.
Es gelang mir aufzustehen und ein paar Schritte zu gehen. Eher wie ein Zombie und mit einer Illusion im Kopf, die bei Traumata nur allzu normal erscheint.
In dem Moment kamen ein paar junge haredische (ultra – orthodoxe) Yeshiva Studenten in den Raum zwischen den Bussen. In den Raum mitten auf der Fahrbahn. Ich sah alles grau und hörte das Stöhnen des Mädchens. Mitten auf der belebten Jaffa Road, wo sich außerhalb unseres grauen unwirklichen Vakuums Geschäfte und Snack Bars aneinanderreihen. Wo normalerweise Freude herrscht, aber diese Freude war für das Mädchen und mich abrupt beendet worden.
Die Yeshiva Leute schrien auf vor Schock und jemand rief hinaus auf den Gehsteig, man solle dem Busfahrer sagen, sofort den Bus wegzubewegen. Sofort. Die Yeshiva Leute waren in Panik und zugleich zerrissen vom Anblick des Mädchens.
Immer mehr Passanten strömten in das Vakuum, um zu sehen, was los ist. So viele, dass ich nicht mehr durchkam und erschöpft sagte: "SUS – Macht Platz !" Dann fiel ich fast auf den Gehsteig und sah nur noch schwarz – weisse Schatten, die wild auf und ab liefen. Schweigend sass ich auf dem Gehsteig, Ein Polizist kam, sah all das Blut und sofort kam ein haredischer (ultra – orthodoxer) Sanitäter der HATZALAH. Er legte mich auf den Gehsteig, schob mir seinen Motorradhelm unter die Beine und schon fühlte ich die Ohnmacht schwinden. Hunderte Leute starrten und ich war fast wahnsinnig vor Rückenschmerzen. Der Hatzalah – Sanitäter warf ein Pad auf meine Wunde und war auch wieder weg. Die Ambulanz kam und ich wurde per Spezialboard auf die Trage gehievt. “Rückentrauma” – so die Ärzte später. Dann dauerte es fast eine Stunde, bis der Krankenwagen abfuhr.
In Israel ist man Katastrophen gewöhnt und weiss die Lage sofort einzuschätzen. Deswegen wurde ich als leicht verwundet betrachtet, wobei ich vor Schmerzen fast die Decken hochging.
Der Weg ins Krankenhaus dauerte nur wenige Minuten. Angekommen ging es sofort in die Notaufnahme, wo ein Orthopädenteam wartete und mit mir sämtliche Übungen abzog. Beine strecken, hochheben, anziehen … ob auch bloß nicht die Wirbelsäule beschädigt war.
War sie nicht, doch wusste ich nicht, wo vor Schmerzen ich zuerst schreien sollte. Wegen der Beinbewegungen oder der Krankenschwester, die meine blutigen Wunden säuberte. Danach gabs Spritzen gegen die Schmerzen und den Tropf. Die Umbettung tat gut, denn endlich war ich die harte Unterlage los. Nun gings in die Warteschlange zum Röntgen. Zweimal musste ich mit dem Bett im Röntgenraum einparken.
Mittlerweile kamen zwei Freunde, die ich vom Krankenwagen aus angerufen hatte.
Nach drei Stunden ging es zurück zum Orthopäden mit neuen Beinübungen. Diesmal fiel ich ohnmächtig um und eine Krankenschwester parkte mein Bett in ein Mehrbettzimmer hinter einem Vorhang ein. Eine Freundin blieb die ganze Nacht und meine Schmerzen liessen, Dank all der Spritzen nach. Dr. Feelgood sozusagen.
Das eingeklemmte Mächen musste eine Stunde in ihrer Position ausharren, denn die Feuerwehr schnitt sie aus den beiden Bussen heraus. Beckenbruch, tiefe Schnittwunden der zerbrochenen Fenster an den Beinen und Verbrennungen. Ganz zu schweigen vom Schock. Bis zum Krankenhaus war das Mädchen bei Bewusstsein und noch in der Lage, die Telefonnummer ihrer Eltern in den USA bekanntzugeben. Danach kamen auch für sie die Spritzen und somit die Narkose.
Gegen Mitternacht kam ein Polizist an mein Bett, der das erste von zwei Protokollen aufnahm. Fragen über Fragen zum Unfallhergang. Vor allem zu den Busfahrern.
Gestern hörte ich, dass die Fahrer der Linie 74 und jenes Busses, der das Mädchen und mich rammte, ihre Buslizenz verloren und vor Gericht gestellt werden. Der Fahrer der 74, da er trotz Verbot, mitten auf der Fahrbahn hielt. Der zweite Fahrer wegen gravierender Fehler und die Polizei ermittelte in mehrere Richtungen, warum der Bus rückwärts ins Rollen kam.
Von der Busgesellschaft EGGED haben wir bis heute nichts gehört und unsere eingeschalteten Anwälte müssen sich an die Versicherungsgesellschaft der Buslinie wenden.
Am letzten Donnerstag sass ich erneut in der 74 und als wir den Busbahnhof erreichten, wartete der Fahrer in der Warteschleife. Gestern jedoch sah ich erneut Busfahrer auf der Straße halten. Alles also wie gehabt bis zum nächsten Unfall.