Mittwoch, 18. April 2007

Die Vergessenen

B"H

Es faellt mir auf, dass im TV oft nur dieselben Leute zum Thema Holocaust zu Wort kommen. Eli Wiesel ist ganz gross dabei, genauso wie andere Ueberlebende, die Buecher verfasst haben.
Natuerlich kommen auch ganz "normale" Leute zu Wort, um von ihren Erlebnissen in den Konzentrationslager zu berichten und Stephen Spielberg sammelt nach wie vor Interviews.
Wie aber schaut es mit denjenigen aus, die, aus welchen Gruenden auch immer, keine Interviews geben oder mehr geben koennen ?
Von drei solchen Faellen aus meinem eigenen Leben moechte ich berichten. Drei Frauen aus zwei unterschiedlichen Kibbutzim, von denen zwei schon laenger verstorben sind. Bei der dritten Frau habe ich keine Infos darueber, ob sie noch am Leben ist.

Im Jahre 1988 war ich als Ulpan - Schueler (hebrae. Sprachkurs) im Kibbutz Revivim in der Negev.
Jeden Abend sassen wir zusammen mit den anderen Ulpanteilnehmern und Voluntaeren auf an unseren festen Tischen im Speisesaal und assen. Dabei fiel uns eine aeltere Frau auf, die sich jeden Abend mitten in unsere Gruppe setzte. Die Frau sass immer allein und musste mindestens 75 Jahre alt sein. Ihr Tablett war ueberladen mit vollen Essenstellern. Die Mengen konnte kein Mensch auf einmal essen und so stopfte sie jeden Abend alles in mitgebrachte Plastikdosen.
Von schweizer Voluntaeren, die im Speisesaal arbeiteten, hoerte ich, dass jeden Morgen der Enkelsohn kam und das wieder Essen zurueckbrachte.

Eines Abends hortete sie wieder ihr Essen und diesmal kam der Enkel dazu. Er nahm ihr das Essen weg und sie stand auf und ging. Ich weiss nicht mehr wer von uns den Enkel fragte, warum seine Grossmutter das macht. Seine Antwort war so schockierend, dass ich total vergessen habe, wer fragte. Vielleicht war ich es.
Er erzaehlte uns, dass seine Grossmutter, gebuertig aus Polen, von den Nazis im Warschauer Ghetto eingesperrt wurde. Damals hatte sie ein Baby, welches verhungerte, weil sie ihrem Kind keine Nahrung verschaffen konnte. Bis heute mache sie sich Vorwuerfe und horte Essen fuer ihr Kind.


Im Sommer 1995 nahm ich an meinem zweiten Ulpan (Kita Gimmel) im Kibbutz Givat Brenner bei Rehovot teil.
Unser Stundenplan sah so aus, dass wir immer abwechselnd einen Tag lernten und einen Tag arbeiteten. Mein erster Arbeitstag war in der Kibbutzkueche. Alle Leute, die nicht kochen koennen, arbeiten immer in der Kueche, so auch ich.
Als ich morgens ganz frueh eintraf, sah ich eine aeltere Frau Kuchen backen. Sie fiel mir sofort auf, denn der Anblick war voellig obskur. Sie war recht schlank, gross von Statur, hatte dicke Wanderstiefel an und eine Zigarette im Mund. Die Asche der Zigarette hing schon ziemlich schief und jeden Moment, so glaubte ich, wuerde sie in den Kuchenteig fallen.
Kurz danach, ohne das die Asche fiel, blickte die Frau mich an und fragte, wo ich herkomme. Ah, Deutschland sagte sie, da komme ich auch her.
Rina kam gebuertig aus dem Ruhrgebiet, war aber noch vor Hitlers Endloesung nach Israel gefluechtet. Seitdem war sie im Kibbutz.
Vor einigen Jahren sei sie einmal mit ihrer Familie in ihrem deutschen Heimatort gewesen. Einladung der Ueberlebenden von der oertlichen Stadtverwaltung incl. Treffen mit dem Buergermeister und der Presse.
Rina erzaehlte mir, dass sie in einem Kaufhaus von einer Verkaeuferin angesprochen worden war und diese fragte, wo sie denn herkomme. Israel, sagte Rina. Daraufhin erwiderte die Verkaeuferin, dass Rina wieder dahin gehen solle, wo sie herkommt. Man wolle sie hier nicht.
Diesen Vorfall erwaehnte Rina spaeter beim Buergermeister, der sich wenig interessiert zeigte. Es ging ihm mehr darum der Presse darzustellen, dass die juedischen Besucher den Bewohnern der Stadt vergeben haetten.
Rina und Familie packten ihre Sachen und reisten noch vor dem geplanten Abreisetermin ab.
Leider verstarb Rina im Juni 2000. Was mir immer in Erinnerung bleiben wird, ist die Zigarette, der tolle Schokoladenkuchen (hoffentlich ohne Asche) und ihr toller grosser Garten.

Im Speisesaal von Givat Brenner lernte ich Hilde kennen. Ueber 80 und Kuenstlerin, was ich sofort sah. Trotz ihre Alters war sie flippig. In Berlin habe sie Theater gespielt. Solange, bis Hitler das den Juden verbot. Hilde ging nach Israel und kam sofort in den Kibbutz, dessen Leben sie hasste. Aus Berlin mitten in die Einoede von Givat Brenner, wo seiner Zeit die Mitglieder noch in Zelten lebten. Vom bluehenden Theaterleben zum Kuehemelken.
Fast taeglich sassen wir morgens beim Fruehstueck zusammen. Sie kam immer mit dem Tablett auf ihrer Gehhilfe an den Tisch. Weisst du, sagte sie mir, Hitler hin oder her. Die schoenste Zeit meines Lebens verbrachte ich in Berlin, vor Hitler.

Nach sechs Monaten verliess ich den Kibbutz und zog nach Ramat Gan. Da ich derzeit noch viele Freunde in Givat Brenner hatte, fuhr ich haeufig auf Besuch. Ich hoerte, dass Hilde an Alzheimer litt. Einmal sah ich sie im kibbutzeigenen Pflegeheim. Sie kam sofort auf mich zu und begann zu weinen. Sie koenne sich meistens an nichts mehr erinnern. Ich stand nur da und wusste keine Antwort. Wir wechselten einige Saetze und ploetzlich hatte sie einen Blackout. Wenige Monate spaeter verstarb Hilde.

2 Kommentare:

  1. Liebe Miriam,
    habe gerade in Deinem Artikel "Leben in Jerusalem" über Rina aus GivAt Brenner unter "Die Vergessenen" gelesen. Vielen Dank für Deinen Bericht, er beschreibt eine wunderbare Frau, die mir immer in Erinnerung bleiben wird. Ich lernte Rina 1975 kennen, schon damals stand sie - genau so, wie Du sie beschreibst! - in der Küche und zauberte wunderbare Kuchen für uns. Wahrscheinlich nahmen wir mit jedem Kuchenstück mindestes 10 Gramm Zigarettenasche zu uns. Aber vielleicht war das ja das Geheimnis, warum nach Rinas Tod im Juni 2000 kein Kuchen im Kibbuz mehr so richtig gut schmeckte. Mit Rinas Tod ging ein großer Seufzer durch GivAt Brenner: "Ach, die Zeit der guten Kuchen ist jetzt wohl vorbei!" :-(
    Ich arbeitete von Januar bis Juni 2000 im Chadri Cholim in Givat Brenner (genau wie bei Dir: einen Tag Hebräisch aufpolieren - unter Mimi Seeligmanns unerbittlichem "Charme", Amiram Tuchman betreute die Ulpanisten - und am anderen Tag jobbte ich im Pflegeheim unter Ruthis Kommando).
    Eines Abends wurde Rina dann ins Chadri Cholim gebracht. Ich blieb bei ihr, bis sie starb. Sie hatte keine Schmerzen, fror aber schrecklich und hatte zwischendurch immer wieder Hitzewallungen, so dass ich den Ventilator ständig ein- und ausschaltete.
    Das halbe Jahr im Chadri Cholim war für mich sehr emotional, weil ich alte Freunde pflegte, die ich seit 25 Jahren kannte, darunter auch Moshe Blaustein (der mit dem Pflaumenschnaps, er starb nach einem Schlaganfall) und Zalman Kirchli (Alzheimer-Patient, er lebte noch einige Monate im Pflegeheim).
    Nie wieder habe ich so faszinierende Menschen kennen gelernt wie in GivAt Brenner: Yehuda Margalit, Thea Zimbalista, Peretz Shacham. Peretz (Jahrgang 1919) lebt noch in GivAt Brenner, wir haben uns im letzten Jahr (Juli/August 2006) bei seinem Sohn Chaim in Schweden (Ämtervik) getroffen.
    Was machst Du jetzt? Wo lebst Du? Im Oktober 2007 werde ich wieder in GivAT Brenner sein, vielleicht "sieht man sich"?
    Herzliche Grüße aus Deutschland (Augsburg), Marion Sens (info@marion-sens.de)

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  2. B"H

    Hi Marion,

    es freut mich total jemanden zu treffen, der auch in Givat Brenner war.:-)

    Ich war dort schon ewig nicht mehr. Das letzte Mal so im Nov. 2000 als ich Julian Herrmann besuchte. Lebt der eigentlich noch ?
    Mit Ruthi und Julian Herrmann war ich ganz gut befreundet. Dass Ruthi allerdings vor einigen Jahren an Krebs verstarb, habe ich noch mitbekommen.

    Damals erst hoerte ich, dass Rina verstorben war und Julian gab mir das Andenken - Booklet, dass ihre familie fuer sie verfasst hatte. Ich habe es heute noch. Mit Bildern von ihr und Texten. Sehr schoen gemacht.

    Ich habe entweder in der Kueche oder im alten Beit Chalomotai gearbeitet, und die Mehrheit der Leute kannte ich nur vom Sehen.

    Ich war 1995 in der Kita Gimmel von Mimi (Miriam Seligmann). Sie war eine gute Lehrerin, aber privat einen Katastrophe.:-)
    Und Amiram kenne ich natuerlich auch noch.

    Wuerde mich freuen, Givat Brenner wiederzusehen. Vielleicht koennen wir uns ja dort treffen.

    Ich habe schon vor laengerer Zeit Aliyah gemacht und wohne in Jerusalem. Lass uns mal in Kontakt bleiben.:-) Deine e - mail habe ich ja.

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