Donnerstag, 26. April 2007

Abgestiegen

B"H

In Deutschland redet man gern von der "Unterschicht" oder HARTZ IV. Mit dem neuen Begriffen von HARTZ kann ich wenig anfangen, denn ich habe die ganzen Gesetzesaenderungen nicht verfolgt. Frueher war es in Deutschland einmal so, dass wenn jemand Sozialhilfe bekam, ihm von der Wohngeldstelle die Miete gezahlt wurde. Ob das in HARTZ IV noch so geregelt ist, weiss ich nicht.
Falls ja, sind das Zustaende, von denen ein Israeli nur traeumen kann. Wer in Israel Sozialhilfe oder Arbeitslosengeld erhaelt, der muss seine Miete davon aus eigener Tasche zahlen. Es gibt zwar gesetzliche Beihilfen wie einen kleinen Mietzuschuss oder Verguenstigungen bei der Stadtsteuer, doch ansonsten geht das meiste Geld fuer die Miete drauf.
Wohlgemerkt Mieten werden in Israel ueberwiegend in Dollar berechnet. Der Dollar befindet sich derzeit im freien Fall (4.02 Shekel = 1 Dollar), was sich aeusserst guenstig fuer die sozial Schwachen auswirkt, denn die zahlen folglich weniger Miete.
Wie kommen also Dauerarbeitslose und chronische Sozialfaelle ueber die Runden ? Ganz zu schweigen von chronisch Kranken, die auch noch ihre Medikamente teilweise selbst zahlen muessen. Und was ist mit alleinerziehenden Muettern ?

Fuer diejenigen, die sich hohe Mieten nicht leisten koennen, hat der Staat Sozialwohnungen eingerichtet. Shikun heisst das auf Hebraeisch. Wie ueberall muss man sich fuer eine staedtische Sozialwohnung erst qualifizieren. Armut oder Obdachlosigkeit allein reichen nicht aus. Ein Bekannter von mir ging zum Ministerium des sozialen Wohnungsbaus (Misrad HaShikun) und dort bekam er gesagt, dass seine Obdachlossigkeit nicht fuer eine sofortige Hilfe ausreiche. Tja, wenn er Alkoholiker oder drogenabhaengig waere, ja, dann bekaeme er sofort eine Wohnung zur Verfuegung gestellt. Wer krank ist, bekommt auch schnelle Hilfe, aber ansonsten sind die Wartelisten fuer eine Jerusalemer Sozialwohnung lang. Bis zu 10 Jahre kann es dauern, dass einem eine Wohnung vermittelt wird. Es sei denn, jemand erklaert sich bereit, in die Negev zu ziehen. Dimona, Arad oder Mitzpeh Ramon. Dort gibt es haufenweise freie Sozialwohnungen.
Normalerweise will aber derjenige irgendwie raus aus seiner finanziellen Misere und doch noch einen Job ergattern. Wer aber ersteinmal in der Negev sitzt, der bleibt ohne Job, denn es gibt dort keine Arbeit. Um nicht fuer immer als sozial abgestiegen zu gelten, will die Mehrheit der Antragsteller natuerlich Sozialwohnungen in Tel Aviv oder Jerusalem. In den Zentren, wo es noch moeglich ist, Jobs zu finden.
Wer erst einmal eine Sozialwohnung hat, der kann sein Leben lang darin wohnen bleiben und zahlt zwischen 70 und 300 Shekel Miete im Monat (ca. 15 - 60 Euro).

Ob es allerdings immer eine gute Idee ist, in den Shikun zu ziehen, bleibt dahingestellt. In Jerusalem befinden sich die meisten Sozialwohnungen in zwei Stadtteilen, in Katamonim (Katamon 8) und in Kiryat Yovel - Kiryat Menachem. Zwei Strassen sind dafuer besonders beruehmt. Zwei Strassen, die in zwei weit voneinander entfernten Stadtteilen liegen, aber dennoch mit der gleichen Buslinie (18) zu erreichen sind. Zwei Endstationen der Buslinie.
Das eine ist die Rabbi Shimon Bar Yochai - Strasse in Katamonim, nahe dem Einkaufsparadies Canyon Malcha, und die andere Strasse ist die Stern - Strasse im Stadtteil Kiryat Yovel.
Ein kurzer Blick auf die trostlosen heruntergekommenen Wohnbloecke reicht aus um den Besucher zu vergraulen. Freiwillig geht dort keiner hin. Tagsueber ist es moeglich durch die Nachbarschaft zu gehen, am Abend dagegen sieht die Sache anders aus. Wer abends vor allem durch die Bar Yochai geht, der wird schonmal von Jugendgangs angemacht oder es werden ihm Drogen angeboten. In der Bar Yochai wimmelt es von russischen und aethiopischen Neueinwanderern, die einen sozialen Brennpunkt darstellen. Die russische Neueinwandererbevoelkerung hat es aus vielerlei Gruende sehr schwer, von Israelis akzeptiert zu werden. Ihren Frust lassen sie in der Bar Yochai an den Aethiopier aus, die von ihnen als das allerletzte der Gesellschaft betrachtet werden. Aber nicht nur in der Bar Yochai, sondern auch anderswo kommen rassistische Sprueche.
Im entgegengesetzten Kiryat Yovel, in der Stern - Strasse, geht es nicht viel besser zu. Der Unterschied ist aber, dass in der Stern ueberwiegend aeltere Menschen wohnen, wovon auch wieder ein hoher Anteil russische Neueinwanderer sind.

Kein Jerusalemer, der hier nicht wohnt, geschweige denn ein Tourist, verirrt sich in diese Gegenden. Als Normalbuerger liest man in der Zeitung von Armut oder sieht die Bettler in der Innenstadt oder an der Klagemauer. Aber wer weiss schon, wie die Menschen im Shikun leben ?
Einmal fuhr ich in der Buslinie 18 Richtung Kiryat Yovel und verpasste eine Haltestelle. Prompt landete ich an der Endstation in der Stern - Strasse und traute meinen Augen nicht. Wohnbloecke, an denen weisse und graue Farbe abblaetterte und alles strahlte Hoffungslosigkeit aus. Das Wetter war noch trostlos dazu.

Wer die Bar Yochai und die Stern sieht, der erhaelt den oberflaechlichen Eindruck, dass wer sich einmal dort befindet, nicht wieder herauskommt. Es waere interessant zu erfahren, ob das Gegenteil der Fall ist.

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