Donnerstag, 19. Juli 2012

HaKol Yihiye be’Seder

B"H 

HaKol Yihiye be’Seder "HaKol Yihiye be’Seder – Alles wird gut !" So lautet der Standardsatz der israelischen Mehrheit. Seit vielen Jahren macht selbst mir dieser Ausspruch Mut, denn irgendwie kommt ja meistens alles, mehr oder weniger, in Ordnung. Einem guten Freund von mir geht es nicht so und er betrachtet diese Art Lebensweisheit mit Enttäuschung und Verzweiflung. Jaja, alles sagen, es werde schon irgendwie alles in Ordnung kommen, doch nichts tut sich. 

Seitdem er innerhalb weniger Jahre von zwei Arbeitsplätzen gekündigt worden ist, kommt der Endfünfziger nicht mehr so recht auf die Beine. Einen Job fand er nach langer Zeit, doch die Bezahlung ist mies und vor ein paar Tagen erzählte er mir, dass er in die USA ziehen wolle. Dort habe ein Freund von ihm eine Firma und er könne dort anfangen zu arbeiten. Mitten im Gespräch dann klingelte sein Handy und ihm wurde ein überraschendes Jobangebot vermittelt. Mit viel mehr Gehalt als bisher. Nun hoffe ich, dass der Freund seine Meinung ändert und doch nicht in die USA zieht. 

FRUSTRATION, das ist es, was sich oft in der israelischen Bevölkerung breitmacht. Da kommt man auf ein Amt und wird von einem Zimmer ins andere geschickt. Von einem Stockwerk ins nächste und immer wieder heisst es, eine neue Nummer zu ziehen und sich in die Warteschlange einzureihen. Die Wartenden sind sauer und die Angestellten verlieren die Geduld. Wer Glück hat, dem wird geholfen. Andere hingegen müssen wiederkommen und auf dem Weg weitere Formulare besorgen und unterschreiben lassen. Alles dauert und nicht wenige verzweifeln. Trotzdem sehe ich in all dem keinen Grund, dass zu tun, was der 58 – jährige Moshe Silman aus Haifa am vergangenen Samstag abend bei einer Demonstration in Tel Aviv tat. Nämlich sich anzuzünden und aus Protest verbrennen zu wollen. Unsere Presse war mitten am "Brandherd" und veröffentlichte am folgenden Tag in großer Aufmache Photos vom brennenden Silman. Ich hätte diese Photos weder geschossen noch irgendwo veröffentlicht, aber heutzutage schreckt kaum ein Journalist vor etwas zurück, um seine paar Schlagzeilen zu erhaschen. 

Moshe Silmans Körper ist zu 90% verbrannt und er kämpft um sein Leben. Am nachfolgenden Tag veröffentlichten die Tageszeitungen seine Geschichte: Vor ein paar Jahren noch selbständiger Spediteur in Tel Aviv, verpasste Silman es offenbar, die fälligen Sozialabgaben zu leisten. 15,000 Schekel (ca. 3000 Euro) wollte die Sozialversicherung Bituach Le’umi von ihm, doch Silman verklagte die Institution auf 8 Mio Schekel Schadensersatz. Das fand dann der Richter zu unverhältnismässig und wimmelte die Klage ab. Anstatt zu zahlen, ging Silman bis zum Obersten Gerichtshof und verlor. Daraufhin kam der finanzielle Absturz, doch Silman blieb stur und beschuldigte alle anderen an seiner Lage. Die Bituach Le’umi, das Gericht, die Behörden und in einer Art Abschiedsbrief sogar Netanyahu und Finanzminister Yuval Steinitz. Nachdem Silman einen Gehirnschlag erlitten hatte, stand er obdachlos auf der Straße. Die Behörden liessen sich Zeit und Silman zündete sich an. 

Gut, jemand kann verzweifelt sein, doch deswegen muss er sich nicht anzünden. Silman jedoch kündigte vorher an, er wolle das Land schocken. Die radikale Linke schlachtet Silmans Aktion gnadenlos für sich aus und verkündete am Tag danach: "Wir alle sind Moshe Silman !" Bedeutet, dass fast alle Israelis verzweifelt am finanziellen Tropf hängen. 

Der ehemalige aschkenazische Oberrabbiner Israels und jetziger Oberrabbiner von Tel Aviv, Rabbi Israel Lau, verfasste gestern eine Kolumne in der Tageszeitung YEDIOT ACHARONOT mit der Überschrift: "Wir alle sind nicht Moshe Silman !" 

Nein, wir sind nicht Moshe Silman und ich kenne kaum jemanden, der mit der Verbrennungsaktion Sympathie zeigt. Die Verzweiflung bezüglich der Behörden und Instanzen kann jeder nachvollziehen, doch das und sich anzuzünden sind zweierlei paar Schuhe. 

Am Montag betrat ein Kunde des Handyvertragsanbieters ORANGE eine Filiale in Petach Tikwah (bei Tel Aviv). ORANGE forderte 20,000 Schekel (ca. 4000 Euro) von ihm, denn der Kunde hatte offenbar viel telefoniert und nie seine Handyrechnungen beglichen. Anstatt eine Einigung zu suchen, kam der Kunde mit Streichhölzern und drohte, wie Silman, sich anzuzünden, sollte ORANGE ihm nicht sofort die Schulden erlassen. 

So schaut es jetzt also aus: Wer seine Rechnung nicht zahlen will, der kommt mit Benzin und Streichholz daher. Viele Beschwerden über die israelische Gesellschaft, doch eine Lösung sind die Streichhölzer gewiss nicht.

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